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Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler

Titel: Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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reagiert hatte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Kyles finsteren Gesichtsausdruck, ehe er sich neben Kapitän Vestrits Strohsack hinkniete.
    »Wenn Ihr gestattet, Sir«, sagte er leise und wartete auf das erkennende Nicken ebenso wie auf die Erlaubnis. Althea war plötzlich neben ihm und schob die Arme unter die knochigen Beine ihres Vaters, während Brashen die Hauptlast des Gewichts des alten Mannes trug. Nicht, dass er noch sonderlich viel gewogen hätte oder tatsächlich schon so alt gewesen wäre.
    Brashen musste sich das ins Gedächtnis rufen, während er den ausgemergelten Körper behutsam auf die blanken Planken des Schiffsdecks legte. Statt sich über die Härte des Holzes zu beschweren, seufzte der Kapitän plötzlich auf, als wäre eine große Last von ihm genommen. Er öffnete die Augen, und ihr Blick suchte Althea. Eine Spur des alten Feuers war in ihm, als er ihr ruhig befahl: »Althea, den Pflock aus der Galionsfigur.«
    Ihre Augen weiteten sich einen Moment vor Entsetzen. Dann straffte sie die Schultern und stand gehorsam auf. Sie presste die Lippen so fest zusammen, dass sie zu weißen Strichen wurden, als sie ihren Vater verließ. Instinktiv wollte Brashen sich zurückziehen. Kapitän Vestrit hätte nicht nach diesem Pflock gefragt, wenn er nicht gefühlt hätte, dass der Tod nah war. Das war der Moment, in dem er mit seiner Familie allein sein musste. Plötzlich aber fühlte Brashen einen verblüffend festen Griff um sein Handgelenk. Die langen Finger des Kapitäns gruben sich in seine Haut und zogen ihn zurück, näher heran.
    Der Geruch des Todes war deutlich wahrzunehmen, aber Brashen zuckte nicht zusammen, als er seinen Kopf senkte, um die Worte zu verstehen.
    »Geh mit ihr, Sohn. Sie wird deine Hilfe brauchen. Und hilf ihr, dies alles durchzustehen.«
    Seine Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
    Brashen nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und Kapitän Vestrit ließ ihn los. Doch als Brashen sich wieder zurücklehnte, um aufzustehen, sprach der Sterbende erneut.
    »Du bist ein guter Seemann, Brashen.«
    Er redete jetzt klarer und überraschend deutlich, als wollte er, dass nicht nur seine Familie, sondern alle seine Worte hören konnten. Er rang nach Luft. »Ich habe keine Beschwerden über dich oder deine Arbeit.«
    Erneut holte er Luft. »Könnte ich weiterleben, um wieder zu segeln, dann wärst du meine Wahl für den Ersten Maat.«
    Seine Stimme kam bei den letzten Worten nur noch pfeifend aus seinem Mund. Er wandte plötzlich den Blick von Brashens Gesicht ab und ließ ihn zu der Stelle an Deck gleiten, wo Kyle stand und finster dreinblickte. Ephron Vestrit holte erneut keuchend Luft. »Aber ich werde nicht mehr segeln. Die Viviace wird niemals mehr die meine sein.«
    Seine Lippen wurden blau. Er bekam keine Luft mehr, so sehr er sich auch bemühte. Er ballte die Hand zur Faust und machte eine abrupte, heftige Geste, die vielleicht für jeden anderen bedeutungslos gewesen wäre. Doch Brashen sprang auf die Füße und stürmte los, um Althea zu suchen und sie zu ihm zurückzubringen.
    Was es mit dem Pflock in der Galionsfigur für eine Bewandtnis hatte, war nicht vielen bekannt. Ephron hatte das Geheimnis Brashen anvertraut, kurz nachdem er ihn zum Ersten Maat gemacht hatte. In den Locken der Galionsfigur war ein kleiner Verschluss verborgen, der einen langen, glatten Pflock aus demselben seidig grauen Holz hielt, aus dem auch die Galionsfigur bestand. Wenn der Sterbende diesen Pflock packte, während sein Leben endete, würde mehr von seiner Weisheit und seiner Essenz auf das Schiff übergehen. Ephron hatte es Brashen gezeigt und ihm gesagt, wie es funktionierte, für den Fall, dass er auf dem Schiff ein Unglück erleiden sollte.
    Dann konnte Brashen ihm in seinen letzten Augenblicken den Pflock bringen. Es war eine Pflicht, die zu erfüllen Brashen liebend gern vermieden hätte.
    Althea hing kopfüber vom Bugspriet, als sie versuchte, den Pflock aus seinem Versteck zu ziehen. Ohne ein Wort zu sagen, packte Brashen sie bei den Hüften und senkte sie hinab, damit sie den Pflock leichter erreichen konnte. »Danke«, ächzte sie, als sie ihn endlich herausbekam. Mühelos hob er sie hoch und stellte sie auf die Füße. Sie rannte sofort zu ihrem Vater zurück, den wertvollen Pflock fest umklammert. Brashen folgte ihr auf dem Fuße.
    Sie kamen keinen Moment zu früh. Ephron Vestrits Tod wurde keine erfreuliche Angelegenheit. Statt einfach die Augen zu schließen und in Frieden zu

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