Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
gegen das Segel.
Eines streifte Altheas Wange. Es brannte. Sie schrie auf und wischte sich den Schleim mit dem Ärmel weg. Eine schreckliche Taubheit breitete sich von der Wunde aus. Die Schreie anderer Matrosen sagten ihr, dass sie nicht die einzige war. Sie hielt sich fest, wo sie war, und versuchte ruhig zu bleiben. Würde das Zeug sie umbringen?
Auf dem Deck unter ihr johlten die Jäger triumphierend und stürmten an die Seite des Schiffes, wo die Seeschlange auf ihrem Schwanz stand und versuchte, sich von dem Köder zu befreien, den sie geschluckt hatte. Die Kette klapperte gegen ihre Zähne, und die Fässer tanzten neben ihr auf dem Wasser. Pfeile surrten durch die Luft, und Harpunen segelten hinterher. Einige landeten zu weit vom Ziel entfernt, aber andere trafen. Die Seeschlange trompetete gequält, als sie wieder ins Wasser zurückfiel. Es war ein schrilles Geräusch, ähnlicher dem Schrei einer Frau als dem Röhren eines Bullen. Sie tauchte wieder ab, und die Fässer verschwanden wie Luftblasen.
Über Althea schrie ein Mann noch lauter auf. Es war ein wortloser Schrei. Er fiel, und sein Körper landete auf einem Rundholz direkt neben ihr. Einen Augenblick taumelte er über dem Abgrund, und Althea erwischte seinen Ärmel. Doch dann verlor er das Gleichgewicht, und der Stoff gab in ihrem Griff nach. Sie hörte, wie er auf dem Deck weit unter ihr aufschlug.
Verständnislos blickte sie auf das verrottete Tuch in ihrer Hand.
Der Schleim der Seeschlange hatte sich durch die dicke Baumwolle gefressen, wie Motten sich durch gewebte Wolle arbeiten.
Was wohl mit ihrem Gesicht passierte? Dann jedoch fiel ihr etwas Wichtigeres ein. »Der Schleim der Seeschlange zerstört unsere Segel!«, schrie sie.
Andere Rufe bestätigten dies. Ein Matrose mit verbrannten und tauben Händen wurde von seinen Kameraden festgehalten, als sie ihn mühsam auf das Deck herunterließen. Sein Kopf zuckte, und aus Mund und Nase floss Schleim. Althea glaubte nicht, dass er noch ganz bei Bewusstsein war. Es war ein schrecklicher Anblick, aber noch schlimmer waren die kleinen Risse, die sich jetzt im Segel zeigten. Als der Wind gegen das Segel drückte, rissen sie noch weiter auf. Der Kapitän beobachtete es genau und versuchte die Geschwindigkeit abzuschätzen, die das Schiff halten konnte, und die Zeit, die sie brauchten, um die Ersatzsegel aufzuziehen. Er schien aber erst so weit wie möglich von den Jagdgründen der Seeschlange wegkommen zu wollen. Althea stimmte ihm zu.
Bei dem Schrei von achtern drehte sie den Kopf. Sie hatte zwar keinen freien Blick, aber die Schreie unter ihr verrieten, dass die Seeschlange wieder gesichtet worden war. »Das Mistvieh verfolgt uns!«, schrie jemand. Der Kapitän befahl den Jägern, nach achtern zu laufen und es mit Pfeilen und Harpunen zu vertreiben. Althea hielt sich an ihrem Ausguck fest und konnte einen deutlichen Blick auf die Kreatur werfen, die sich auf sie stürzte. Ihr Maul war immer noch weit aufgerissen, und die Kette hing baumelnd aus einer Ecke. Irgendwie hatte sie das schwere Hanftau durchtrennt, das die Fässer an die Kette gebunden hatte. Pfeile und Harpunen ragten aus ihrem Hals heraus. In ihren riesigen Augen fingen sich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne und brachen sich dort in rotglühender Wut. Noch nie zuvor hatte Althea in dem Bewusstsein eines Tieres ein so deutliches Gefühl aufscheinen sehen. Die Kreatur erhob sich immer weiter aus dem Wasser, unglaublich groß und viel zu lang für ein lebendiges Wesen.
Das Ungeheuer stürzte sich mit aller verfügbaren Wucht auf das Schiff. Der riesige Kopf landete mit einem lauten Krachen auf dem Achterdeck, wie eine gigantische Faust auf einem Tisch.
Der Bug des Schiffs hob sich daraufhin aus dem Wasser, und Althea wäre beinahe aus der Takelage geflogen. Sie hielt sich fest und machte ihrem Entsetzen in einem Schrei Luft, der von mehr als einer Kehle erwidert wurde. Sie hörte, wie die Bogensehnen surrten und Pfeile durch die Luft zischten.
Später würde sie die Geschichten hören, wie die Jäger furchtlos vorgestürmt waren, um immer wieder ihre Speere in das Geschöpf zu rammen. Aber das war unnötig. Es war schon dem Tode geweiht gewesen, als es sich auf sie stürzte. Leblos lag es mit starren großen Augen auf dem Deck. Eine milchige Flüssigkeit tröpfelte aus dem Maul, und da, wo sie auf die Planken tropfte, stieg Rauch auf. Allmählich zog das Gewicht seines ungeheuren Körpers den Kopf weiter zurück und nach
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