Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
verwunderte ihn immer wieder. Sobald eine Person den Tod erkannt hatte und von ihren Schmerzen befreit werden konnte, wandte sie sich sofort den Wundern der Welt und Sa zu. Wintrow wusste, dass es beider Schritte bedurfte. Wenn eine Person den Tod nicht begrüßte, dann konnte man sich der Berührung widersetzen.
Einige akzeptierten zwar den Tod und die Berührung, aber sie konnten ihren Schmerz nicht loslassen. Sie hingen an ihm wie an einem letzten Funken Leben. Aber Cala hatte leicht losgelassen, so leicht, dass Wintrow klar wurde, dass sie schon lange hatte gehen wollen.
Er blieb schweigend daneben stehen. Und er hörte auch nicht auf das, was sie Lern sagte. Lern liefen Tränen über die Wangen; sie rannen über die Narben, die von einem harten Leben kündeten, und tropften auf die eingebrannten Farben der Tätowierung. Sie perlten von seinem stoppligen Kinn. Er sagte nichts, und Wintrow überhörte den Inhalt von Calas Worten.
Stattdessen achtete er auf den Tonfall und wusste, dass sie von Liebe, Leben und Licht sprach. Das Blut lief ihr immer noch die nackten Beine herunter. Er sah, wie ihr Kopf hin und her schwankte, als sie schwächer wurde, aber das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht. Sie war dem Tod näher gewesen, als er gewusst hatte. Ihr stoisches Benehmen hatte ihn getäuscht. Sie würde bald gehen. Er war froh, dass er ihr und Lern diesen friedlichen Abschied hatte geben können.
»Heh!«
Jemand schlug ihm mit einer Keule ins Kreuz. »Was machst du da?«
Der Sklavenhändler ließ Wintrow keine Zeit zum Antworten.
Stattdessen stieß er den Jungen zur Seite und rammte ihm dabei den Stock gegen die Rippen. Wintrow bekam keine Luft mehr. Er stand gebückt da und rang nach Atem. Der Händler trat kühn in die Mitte der Sklaven und stürzte sich auf Lern und Cala. »Lass sie los«, fauchte er Lern an. »Was hast du vor?
Willst du sie wieder schwängern und diesmal hier mitten auf der Straße?«
Närrischerweise packte er Calas schlaffe Schulter. Er zog an der Frau, aber Lern hielt sie fest, selbst als er einen wütenden Schrei ausstieß. Wintrow wäre schon vor dem Ausdruck in seinen Augen zurückgewichen, aber der Sklavenhändler schlug Lern mit dem kleinen Stock ins Gesicht.
Lerns Haut auf der Wange platzte auf, und Blut strömte hervor.
»Lass sie los«, befahl der Sklavenhändler gleichzeitig. So groß der Sklave auch war, der Schlag und der plötzliche Schmerz überrumpelten ihn. Der Händler riss ihm Cala aus den Armen und ließ sie in den Schmutz fallen. Sie brach wortlos zusammen, als besäße sie keine Knochen. Sie lag dort, wo sie geblutet hatte, und starrte in den Himmel empor. Wintrows erfahrenes Auge erkannte, dass sie in Wirklichkeit überhaupt nichts mehr sah.
Sie hatte sich entschieden aufzuhören. Noch während er zusah, wurde ihr Atem immer schwächer. »Sas Frieden sei mit dir«, flüsterte er gepresst.
Der Händler drehte sich zu ihm um. »Du hast sie umgebracht, du Idiot. Sie hatte noch mindestens einen Tag Arbeit in sich!«
Er schlug Wintrow mit dem Prügel. Es war ein scharfer, stechender Hieb, der die Haut verletzte, ohne dabei die Knochen zu brechen.
Von seiner Schulter zuckte ein scharfer Schmerz durch seinen Arm, dem ein taubes Gefühl folgte. Wintrow schrie auf und wich zurück. Er stolperte gegen einen gefesselten Sklaven, der ihn beiläufig zur Seite stieß. Sie umringten den Händler, und plötzlich wirkte der hässliche Prügel wie eine kümmerliche, lächerliche Waffe. Wintrow wurde schlecht. Sie würden ihn zu Tode prügeln und seine Knochen zermalmen.
Aber der Sklavenhändler war ein beweglicher Mann, der seine Arbeit liebte und beherrschte. Wie eine Puppe hüpfte er herum und teilte Schläge mit seinem Prügel aus. Bei jedem Schlag verletzte er Haut, und ein Mann fiel zurück. Er war sehr gut darin, Schmerzen zuzufügen, ohne dabei ernsthaften Schaden anzurichten. Bei Lern jedoch war er nicht so zurückhaltend.
Als sich der Mann wieder rührte, schlug er ihn erneut, ein heftiger Hieb auf den Bauch. Lern klappte zusammen, und seine Augen traten aus ihren Höhlen.
Mittlerweile ging auf dem Sklavenmarkt der ganz normale Betrieb weiter. Ab und zu hob jemand eine Braue wegen dieser widerspenstigen Sklavenreihe, aber was erwartete man auch von den »Kartenvisagen« und denen, die mit ihnen handelten? Die Leute machten einen großen Bogen um sie und gingen weiter.
Es war vollkommen sinnlos, sie um Hilfe zu bitten. Wintrow bezweifelte, dass einer von ihnen sich
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