Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Sklaventätowierung auf ihrem Gesicht aufrecht. Andere wurden als »Kartenvisagen« bezeichnet. Das waren, wie Wintrow bald erfuhr, Menschen, deren Vorbesitzer an den verschiedenen Tätowierungen abzulesen waren. Normalerweise waren solche Sklaven widerspenstig und schwierig. Fügsame Sklaven fanden meist eine dauerhafte Bleibe. Mehr als fünf Tätowierungen brandmarkten einen Sklaven meist als schwer zu gängeln. Diese Sklaven wurden entsprechend billiger verkauft und mit achtloser Brutalität behandelt.
Die Gesichtstätowierung der Sklaven war früher einmal als barbarische chalcedanische Sitte angesehen worden. Jetzt war es allgemeiner Brauch in Jamaillia-Stadt. Es schmerzte Wintrow, mit ansehen zu müssen, dass Jamaillia diesen Brauch nicht nur angenommen, sondern sich ihm auch angepaßt hatte.
Diejenigen, die als Tänzer und Unterhalter verkauft wurden, trugen nur kleine, blasse Tätowierungen. Sie waren leicht unter einer Schminkeschicht zu verbergen. Damit ihr Mal das Vergnügen der Zuschauer nicht minderte. Es war zwar ungesetzlich, Sklaven nur zu kaufen, um ihr Talent auszubeuten, aber die exotischeren Tätowierungen bei einigen von ihnen ließen keinen Zweifel daran, zu welchen Diensten sie ausgebildet worden waren. Es war auch oft einfacher, nur ihre Tätowierungen anzuschauen statt ihnen in die Augen zu blicken.
Als er um eine Straßenecke bog und an einer Reihe von Sklaven vorüberging, sprach einer der Sklaven ihn an. »Bitte, Priester!
Sas Segen für die Sterbenden.«
Wintrow blieb wie angewurzelt stehen, obwohl er nicht wusste, ob wirklich er angesprochen worden war. Der Sklave war so weit vorgetreten, wie seine Ketten es ihm ermöglichten.
Er sah nicht aus wie ein Mann, der Sas Trost suchte. Sein Gesicht und sein Hals waren von Tätowierungen übersät. Und er wirkte auch nicht gerade sterbenskrank. Er trug kein Hemd, und man sah deutlich seine Rippen. Die Fußfessel hatte seine Haut blutig gescheuert, aber der Mann sah trotzdem hart und vital aus. Er war erheblich größer als Wintrow, etwa mittleren Alters, und sein Körper war von schwerer Arbeit gezeichnet. Er strahlte die Haltung eines Überlebenden aus. Wintrow blickte an ihm vorbei. Sein Besitzer stand abseits und feilschte mit einem potentiellen Käufer. Der Sklavenhalter war ein kleiner Mann, der beim Sprechen einen Knüppel schwang. Er erhaschte Wintrows Blick und runzelte verärgert die Stirn. Aber er unterbrach seine Verhandlung nicht.
»Du. Bist du kein Priester?«, wollte der Sklave wissen.
»Ich wurde zum Priester ausgebildet«, erklärte Wintrow.
»Aber ich kann diesen Titel noch nicht ganz beanspruchen.«
Verteidigend fügte er hinzu: »Aber ich spende soviel Trost, wie ich kann.«
Er betrachtete die Sklaven und versuchte, nicht misstrauisch zu klingen, als er fragte: »Wer bedarf dieses Trostes?«
»Sie.«
Der Mann trat zur Seite. Eine Frau kauerte auf der Erde hinter ihm. Jetzt erst sah Wintrow, dass die anderen Sklaven sich um sie geschart hatten. Sie boten ihr die Wärme und den schwachen Schutz ihrer eigenen Leiber. Sie war noch jung, kaum älter als zwanzig, und zeigte keine sichtbaren Verletzungen. Sie war die einzige Frau in der Gruppe. Ihre Arme hielt sie über dem Bauch gekreuzt, und den Kopf hatte sie auf die Brust gelegt. Als sie ihn hob, blickte sie Wintrow aus blauen Augen an, die so matt waren wie Kiesel. Ihre Haut war sehr blass, und ihr blondes Haar war kurz geschoren. Ihr Rock war geflickt und schmutzig. Das Hemd, das sie trug, gehörte vermutlich dem Mann, der Wintrow angesprochen hatte. Ihr Gesicht war wie das des Mannes und der anderen Sklaven in der Reihe mit Tätowierungen übersät. Aber sie hatte keine sichtbaren Verletzungen und wirkte auch nicht gebrechlich. Im Gegenteil. Sie war muskulös und breitschultrig. Nur ihre schmerzverzerrten Gesichtszüge verrieten ihre Krankheit.
»Was quält dich?«, fragte Wintrow und trat näher. Irgendwie nagte an ihm der Verdacht, dass die Sklaven ihn vielleicht nur heranlockten, um ihn dann zu ergreifen. Als Geisel? Aber niemand schien ihn zu bedrohen. Die Sklaven, die der Frau am nächsten standen, drehten ihr sogar so gut es ging den Rücken zu, als wollten sie ihr eine gewisse Privatsphäre einräumen.
»Ich blute«, sagte sie ruhig. »Ich blute, und es hört nicht auf, seit ich das Kind verloren habe.«
Wintrow hockte sich vor sie hin. Er streckte die Hand aus und berührte ihren Oberarm. Sie hatte kein Fieber, denn ihre Haut war trotz der Wintersonne
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