Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Lügnerin, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht neugierig wäre. Woher kommt es, dass dieses Holz zum Leben erwachen kann? Was für eine Art Baum ist das, und wo wachsen solche Bäume? Sind sie selten?
Natürlich. Sie müssen selten sein. Familien verschulden sich ja auf Generationen, um ein solches Schiff zu besitzen. Aus welchem Grund?«
Ihre Worte waren denen von Mingsley zu ähnlich. Paragon lachte laut. Es war ein donnerndes Geräusch, das die Seevögel aufschreckte, die auf den Klippen saßen und jetzt kreischend in die Dunkelheit aufstiegen. »Als ob du das nicht wüsstest!«, höhnte er. »Warum hat Mingsley dich hergeschickt? Glaubt er wirklich, dass du mich hereinlegen könntest? Dass ich freiwillig für dich segeln würde? Ich kenne seine Pläne. Er glaubt, dass er mit meiner Hilfe gefahrlos den Regenwildfluss hinaufsegeln und dort denen den Handel stehlen könnte, denen er rechtmäßig zusteht, den Bmgtown-und den Regenwildhändlern.«
Paragon senkte nachdenklich die Stimme. »Er glaubt, dass ich meine Familie verraten würde, weil ich verrückt bin. Er glaubt, weil sie mich hassen, mich verfluchen und mich aufgegeben haben, würde ich mich jetzt gegen sie stellen.«
Er riss sich das Halsband herunter und warf es in den Sand. »Aber ich bin treu!
Ich war immer treu und immer verlässlich, ganz gleich, was alle gesagt oder geglaubt haben! Ich war treu und ich bin treu.«
Er hob die Stimme, als wolle er etwas verkünden. »Hört mich an, Ludlocks! Ich bin euch treu! Ich segle nur für meine Familie!
Nur für euch!«
Er spürte, dass sein ganzer Rumpf bei diesen Worten widerhallte.
Seine Brust hob sich unter seinen angestrengten Atemzügen.
Er lauschte, doch Amber machte kein Geräusch. Nur das Feuer aus Treibholz knackte leise, und die Vögel beschwerten sich lautstark, während sie sich wieder auf das Kliff herabsenkten.
Sonst hörte er nur noch das endlose Klatschen der Wellen an den Strand. Sie machte gar kein Geräusch. Vielleicht war sie ja weggelaufen, während er geschrien hatte. Vielleicht war sie einfach beschämt und feige im Schutz der Dunkelheit davongekrochen. Er schluckte und rieb sich die Stirn. Und wenn schon. Sie spielte keine Rolle. Nichts spielte eine Rolle. Er rieb sich den Hals an der Stelle, wo die Schnur der Halskette gerissen war. Und er lauschte den Wellen, die näher kamen, während die Flut stieg. Er hörte, wie die Treibholzscheite im Feuer zusammenfielen und roch den Rauch, der dabei aufstieg.
Als sie sprach, zuckte er vor Schreck zusammen.
»Mingsley hat mich nicht geschickt.«
Er hörte, wie sie unvermittelt aufstand. Sie trat ans Feuer und schien dort in den Scheiten zu wühlen. Ihre Stimme klang gelassen und beherrscht, als sie weitersprach. »Du hast trotzdem recht. Als ich das erste Mal hergekommen bin, hat er mich hergebracht. Er hat vorgeschlagen, dich in Stücke zu schneiden, um dein Hexenholz zu bekommen. Aber schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, hat sich alles in mir dagegen gesträubt. Paragon, ich wünschte wirklich, dass ich dich für mich gewinnen könnte. Du bist ein Wunder und ein Rätsel für mich. Meine Neugier war schon immer größer als meine Weisheit. Aber am größten ist meine Einsamkeit. Ich bin sehr weit von meiner Familie entfernt, nicht nur was die räumliche, sondern auch was die zeitliche Entfernung angeht.«
Sie stieß diese Worte knapp und schnell hervor und ging dabei umher. Er hörte, wie ihre Röcke raschelten. Und mit seinem geschärften Gehör nahm er auch das Klicken wahr, das von zwei Holzstücken stammte, die aneinander schlugen.
Meine Halskette, dachte er plötzlich verzweifelt. Sie sammelte sie auf. Sie würde ihr Geschenk wieder mitnehmen.
»Amber?«, fragte er flehend. Seine Stimme überschlug sich, was öfter geschah, wenn er Angst hatte. »Nimmst du mir die Kette weg?«
Ein langes Schweigen folgte. »Ich dachte, du wolltest sie nicht mehr«, meinte sie schließlich mürrisch.
»O doch. Sehr sogar.«
Als sie nichts sagte, nahm er allen Mut zusammen. »Du hasst mich jetzt, hab ich recht?«, wollte er wissen. Seine Stimme klang sehr ruhig, nur war sie ein bisschen hoch.
»Paragon, ich…«
Ihre Stimme versagte ihr den Dienst.
»Ich hasse dich nicht«, meinte sie plötzlich liebevoll. »Aber ich verstehe dich auch nicht«, fuhr sie traurig fort.
»Manchmal höre ich die Weisheit von Generationen aus deinen Worten sprechen. Und ein andermal benimmst du dich ohne jede Vorwarnung wie ein verzogener
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