Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
den Handel mit dem Regenwildvolk weiter betrieben hätte, wäre die Viviace sicher schon abgezahlt«, meinte Keffria.
»Sehr wahrscheinlich. Aber um welchen Preis!«
»Das hat Papa auch immer gesagt«, meinte Keffria. »Aber ich habe es nie verstanden. Papa hat es niemals erklärt oder vor uns Mädchen darüber gesprochen. Beim einzigen Mal, als ich ihn dazu befragt habe, hat er mir gesagt, dass er diesen Weg für unglücklich halte. Aber alle anderen Familien, die Lebensschiffe haben, treiben Handel mit den Regenwildfamilien. Und da die Vestrits ein Zauberschiff besitzen, haben wir auch das Recht darauf. Trotzdem hat Papa sich geweigert.«
Sie wog ihre Worte sorgfältig ab, als sie weitersprach. »Vielleicht sollten wir diese Entscheidung überdenken. Kyle wäre dazu bereit. Er hat das deutlich gemacht, als er nach den Karten vom Regenwildfluss gefragt hat. Vorher haben wir nie darüber gesprochen. Ich dachte, dass Papa es ihm vielleicht erklärt hätte. Vor diesem Tag hat er mich nie gefragt, warum wir aufgehört haben, auf dem Fluss Handel zu treiben. Es ist einfach niemals zur Sprache gekommen.«
»Und wenn du klug bist, wird es auch nie wieder zur Sprache kommen«, erwiderte Ronica kurz angebunden. »Es wäre ein Desaster, wenn Kyle den Fluss hinaufsegelt.«
Da waren sie beim nächsten unangenehmen Thema gelandet.
Kyle. Keffria seufzte. »Ich erinnere mich noch daran, wie Großvater mit der Viviace flussaufwärts gesegelt ist. Ich erinnere mich an die Geschenke, die er uns mitgebracht hat. Eine Spieluhr, die funkelte, wenn sie spielte.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, was daraus geworden ist.«
Ruhiger fuhr sie fort: »Und ich habe auch niemals ganz verstanden, warum Papa nicht mit der Regenwildnis Handel treiben wollte.«
Ronica starrte ins Feuer, als erzählte sie eine uralte Geschichte.
»Dein Vater… verabscheute den Vertrag mit den Festrews. Oh, er liebte das Schiff und hätte sie für nichts in der Welt eingetauscht. Aber so sehr er die Viviace auch liebte, euch Mädchen liebte er mehr. Und wie du betrachtete er diesen Vertrag als Drohung gegen seine Kinder. Es gefiel ihm nicht, an eine Vereinbarung gebunden zu sein, bei der er nichts zu sagen hatte.«
Ronica senkte die Stimme. »In gewisser Weise hegte er auch eine Abneigung gegen die Festrews, weil sie ihn an eine solch grausame Abmachung banden. Vielleicht haben sie damals die Dinge anders gesehen. Vielleicht…«
Sie verstummte eine Weile. »Ich glaube, dass ich dich eben belogen habe. Ich rede so, wie ich glaube, denken zu müssen. Dass ein Handel ein Handel ist und ein Vertrag ein Vertrag. Aber dieser Vertrag ist früher geschlossen worden, in den älteren, härteren Zeiten.
Trotzdem bindet er uns.«
»Aber Vater hat ihn doch abgelehnt«, meinte Keffria, der diese Worte nicht aus dem Kopf gingen.
»Er hat die Bedingungen abgelehnt. Oft genug hat er darauf hingewiesen, dass niemand jemals eine Schuld gegenüber dem Regenwildvolk ganz abbezahlt hätte. Immer wieder kamen neue Schulden zu den alten hinzu, so dass die Ketten, die die Vertragspartner aneinanderbanden, von Jahr zu Jahr nur stärker wurden. Und diese Vorstellung gefiel ihm nicht. Er wollte, dass eine Zeit kam, in der das Schiff wirklich uns gehörte, und dass wir Bingtown einfach mit Sack und Pack verlassen könnten, wenn uns danach war.«
Allein die Idee erschütterte Keffria bis ins Mark. Bingtown verlassen? Ihr Vater hatte tatsächlich daran gedacht, seine Familie von Bingtown wegzubringen?
Ihre Mutter redete weiter. »Und obwohl sein Vater und auch seine Großmutter mit Waren aus der Regenwildnis gehandelt hatten, fand er immer, dass diese Güter einen Makel hatten. So nannte er es. Zuviel Magie. Er hatte immer das Gefühl, dass man früher oder später für solche Magie würde bezahlen müssen.
Und er hielt das nicht für… ehrenhaft. Er wollte nicht eine Magie aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit in unsere Welt bringen, eine Magie, die vielleicht der Untergang eines anderen Volkes war. Vielleicht sogar der Untergang der ganzen Verwunschenen Ufer. Manchmal sprach er davon, spät in der Nacht, und sagte, dass er fürchtete, wir würden uns und unsere Welt zerstören.«
Ronica schwieg. Beide Frauen dachten nach. Über diese Dinge redete man nicht oft. Es gab viele Geheimnisse, die nur selten zur Sprache gebracht wurden.
Ronica räusperte sich. »Also hat er etwas getan, das sowohl mutig als auch schwierig war. Er hat aufgehört, auf dem
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