Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
zuckte zurück. Der Tätowierer gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. »Stillhalten!«, knurrte er.
Wintrow kniff die Augen zu und biss die Zähne zusammen.
»Ach, ich hasse es, wenn da diese Falten sind«, knurrte der Tätowierer mürrisch. Dann ging er rasch ans Werk. Ein Dutzend Stiche mit der Nadel, ein kurzes Wegwischen des Bluts und dann das Ätzen der Farbe. Grün. Noch ein Dutzend Stiche, wischen, ätzen. Es kam Wintrow vor, als bekäme er bei jedem Atemzug weniger Luft. Er war benommen und fürchtete schon, dass er ohnmächtig werden würde. Er war wütend, weil er sich deswegen schämte. Wie konnte es ihn beschämen, wenn er in Ohnmacht fiel? Sie taten ihm das schließlich an. Und wo war sein Vater? Wieso kam er zu spät? Wusste er nicht, was mit seinem Sohn geschah, wenn er zu spät kam?
»Und jetzt lass es in Ruhe. Fass es nicht an und kratz nicht dran, sonst tut es dir nur noch mehr weh.«
Eine andere Stimme sprach weiter weg. Sie übertönte das Rauschen in seinen Ohren.
»Der hier ist fertig. Schafft ihn weg und bringt den Nächsten.«
Hände zerrten an seinen Fesseln und seinem Hals, und dann wurde er abgeführt und gezwungen, woanders hin zu gehen. Er stolperte halb benommen weiter und rang derweil nach Luft. Sein Ziel war eine andere Zelle in einer anderen Reihe in einem anderen Schuppen. Das darf doch nicht wahr sein, dachte er. Es darf einfach nicht passiert sein. Sein Vater konnte doch nicht zulassen, dass er tätowiert und verkauft wurde. Seine Wächter hielten an einem Käfig an, der für die neuen Sklaven vorgesehen war. Die fünf Sklaven, mit denen er ihn teilte, trugen alle eine blutende, grüne Tätowierung.
Seine Fesseln wurden an einem Ring im Boden angekettet, und dann ließen die Männer ihn zurück. Als sie seine Arme losließen, hob Wintrow seine Hände sofort zu seinem Gesicht.
Vorsichtig berührte er die Narbe, tastete die geschwollene und blutende Haut ab. Eine rosa Flüssigkeit lief ihm langsam über das Gesicht und tropfte von seinem Kinn. Er hatte nichts, womit er sie hätte abtupfen können.
Er starrte die anderen Sklaven an und bemerkte, dass er kein Wort mehr gesagt hatte, seit er den Tätowierer angesprochen hatte. »Was passiert jetzt?«, fragte er sie benommen.
Ein großer hagerer Junge bohrte mit dem Finger in der Nase.
»Wir werden verkauft«, erwiderte er sarkastisch. »Und bleiben für den Rest unseres Lebens Sklaven. Es sei denn, wir können jemanden töten und entkommen.«
Er zeigte einen mürrischen Trotz, aber Wintrow hörte, dass es nur leere Worte waren. Worte waren alles, was von seinem Widerstand geblieben war. Die anderen schienen nicht mal mehr dazu in der Lage zu sein. Sie standen, saßen oder lehnten an dem Käfig und warteten auf das, was als Nächstes mit ihnen geschehen würde. Wintrow kannte ihre leeren Blicke. Leute mit schweren Verletzungen taten das.
Wenn man sie sich selbst überließ, dann blieben sie einfach sitzen und schüttelten sich ab und zu.
»Ich kann es nicht fassen«, flüsterte Wintrow. »Ich kann nicht glauben, dass Torg es meinem Vater nicht erzählt hat.«
Dann jedoch fragte er sich, warum er jemals geglaubt hatte, dass Torg das tun würde. Was war mit ihm los? Warum war er so dumm?
Wollte er sein Schicksal wirklich einem sadistischen, brutalen Idioten anvertrauen? Warum hatte er nicht nach seinem Vater geschickt, warum hatte er nicht dem Wächter gleich am ersten Tag Bescheid gegeben? Wenn er schon darüber nachdachte, dann musste er sich fragen, warum er überhaupt von dem Schiff geflohen war. Dort war immerhin ein Ende in Sicht gewesen. Er hätte zwei Jahre warten müssen, bis er sich von seinem Vater lossagen konnte. Jetzt war kein Ende abzusehen. Und er hatte nicht einmal die Viviace , die ihm half. Bei dem Gedanken an sie fühlte er sich noch einsamer. Er hatte sie betrogen, und er hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass er in die Sklaverei geraten war. Das war die Wirklichkeit. Er war jetzt ein Sklave.
Jetzt und für immer. Er rollte sich auf dem schmutzigen Stroh zusammen und zog die Knie gegen seine Brust. In der Ferne hörte er den Wind heulen.
Die Viviace rollte untröstlich in dem ruhigen Hafen hin und her.
Es war ein wunderschöner Tag. Das Sonnenlicht glitzerte auf dem märchenhaften Weiß von Jamaillia-Stadt. Heute kam der Wind aus Süden, linderte den Wintertag und den Gestank der anderen Sklavenschiffe, die neben ihr ankerten. Es würde nicht mehr lange dauern, dann kam der Frühling.
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