Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
ungeschickt. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er behauptet, dass sie das Zeug zu einem guten Seemann hatte.
Das Wetter schlug um, typisch für diese Gewässer, und die Regenfront traf sie völlig unvermittelt. Es goss wie aus Kübeln, während die Windrichtung sich scheinbar ständig veränderte. Er hörte, wie Sorcor der Deckmannschaft Befehle zubrüllte. Was zunächst nur wie ein kleiner Sturm ausgesehen hatte, türmte sich jetzt zu einem ausgewachsenen Orkan auf.
Im Hawser-Kanal herrschten immer Strömungen, und bei manchen Gezeiten konnten sie sehr gefährlich sein. Aber jetzt verschworen sich auch noch die Sturmwinde mit den Strömungen gegen sie. Das Zauberschiff floh vor ihnen. Er beobachtete es und erwartete, dass sie Segel reffen würden.
Sorcor hatte seinen Leuten befohlen, Segel einzuholen. Der Sturm und die Strömung trieben sie schnell genug vorwärts, auch ohne dass sie den tückischen Winden Gelegenheit boten, sie hin und her zu schieben. Nicht weit voraus lag Krummes Eiland. Östlich der Insel führte die sichere Passage vorbei. Das Zauberschiff würde sie gewiss nehmen. Die Marietta jedoch würde westlich vorbeisegeln. Sie würden Sturm und Strömung nutzen, um das Lebensschiff zu überholen und ihm den Weg abzuschneiden. Es war eine schwierige Aufgabe, und man konnte sich keinen Fehler erlauben. Er war nicht sicher, ob sie es schaffen würden. Nun, er bezweifelte sowieso, dass er lange leben würde. Er konnte genauso gut auf seinem Deck sterben, wenn er es schon nicht an Bord eines Lebensschiffes konnte.
Sorcor hatte das Steuer übernommen. Kennit merkte es an der Art, wie die Marietta plötzlich jede auftürmende Welle zu genießen schien. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, in dem Regen seine Beute ausfindig zu machen. Drei Wogen lang konnte er sie nicht sehen. Er erblickte das Lebensschiff in dem Moment, als er ihren fernen Schrei hörte.
Sie hatte große Schwierigkeiten mit dem Sturm, und ihre Segel, um die sich keiner kümmerte, schoben sie unbeholfen gegen jede Welle. Kennit musste entsetzt mit ansehen, wie sie in ein Wellental eintauchte, verschwand und im nächsten Moment wieder in Sicht kam. Er bemerkte Gestalten auf dem spärlich erleuchteten Deck, viele Männer, aber sie schienen nichts zu unternehmen, um sie zu retten. Er stöhnte verzweifelt. So nah an die Kaperung eines Lebensschiffs zu kommen und dann mit ansehen zu müssen, wie es vor seinen Augen unterging, weil ihre Mannschaft unfähig war, das konnte er nicht ertragen.
»Sorcor!«, brüllte er gegen den Sturm. Er konnte nicht darauf warten, ihr den Weg abzuschneiden. So wie sie jetzt segelte, würde sie vorher gegen die Felsen laufen. »Sorcor! Hol sie ein und halte eine Entermannschaft der besten Männer bereit!«
Der Regen und der Wind wischten seine Worte weg. Er versuchte, ans Heck zu gelangen, hielt sich an der Reling fest und hüpfte auf seinem guten Bein weiter. Bei jedem Sprung hatte er das Gefühl, als tauche er mit seinem Stumpf in kochendes Öl.
Plötzlich zitterte er vor Kälte. Die Wellen wurden höher.
Jedesmal, wenn eine Welle sie traf, sah er die Wand aus Salzwasser auf sich zurasen und konnte nichts anderes tun, als sich an der Reling festzuklammern. Schließlich fegte eine Welle sein müdes Bein unter ihm weg. Er klammerte sich einen unendlich scheinenden Moment fest, während das Wasser über seinen Körper durch die Speigatts ablief. Dann hatte Etta ihn gepackt und hielt ihn fest, ohne auf sein verletztes Bein zu achten. Sie schlang einen seiner Arme um ihre Schultern und zog ihn hoch, während sie ihn an der Brust gepackt hielt.
»Lasst mich Euch hineinbringen!«, bat sie ihn.
»Nein! Hilf mir zum Steuerrad. Ich übernehme das Ruder. Ich will, dass Sorcor die Entermannschaft führt!«
»Ihr könnt doch in diesem Wetter kein Schiff entern!«
»Bring mich einfach zum Heck!«
»Kennit, Ihr solltet heute nicht einmal an Deck sein. Ich spüre, wie das Fieber Euch verzehrt. Ich flehe Euch an!«
Seine Wut flammte augenblicklich auf. »Hast du mich als Mann vollkommen abgeschrieben? Mein Zauberschiff segelt da draußen und ihre Kaperung steht unmittelbar bevor. Und du willst, dass ich mich wie ein Invalide in meine Kabine lege?
Verdammt, Weib, entweder hilfst du mir zum Heck, oder du gehst aus dem Weg!«
Sie half ihm. Es war ein alptraumhafter Gang über das Deck, das sich unter der Gewalt des Sturms neigte. Sie zerrte ihn die kurze Leiter hoch, als wäre er ein Sack Kartoffeln. Die Wut
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