Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
verlieh, konnten sie darüber sprechen und beide mehr übereinander lernen. Jetzt glaubte er noch, dass er es nicht ertragen konnte, aber Viviace kannte die Wahrheit. Er besaß Stärke, und er würde trotz seines Unglücks durchhalten. Irgendwann würden sie ein Ganzes sein, sie beide. Sie brauchten nur etwas Zeit. Sie hatte seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht gewusst, dass er für sie bestimmt war. Er konnte es nur nicht so einfach akzeptieren. Lange hatte er sich gegen diese Vorstellung gewehrt. Aber selbst in seinen trotzigen Worten heute hatte sie die Entschlossenheit zu diesem Kampf gespürt. Ihre Geduld würde belohnt werden.
Sie betrachtete den Hafen mit anderen Augen. In vielerlei Hinsicht hatte Wintrow völlig Recht, als er von der unterschwelligen Korruption in dieser Stadt gesprochen hatte.
Aber sie wollte diese Haltung in dem Jungen nicht auch noch bestärken. Er brauchte Hilfe, um aus seiner Brüterei herauszukommen. Es war besser, wenn er seine Gedanken auf das richtete, was sauber und gut war an Jamaillia-Stadt. Der Hafen war wunderschön in dem winterlichen Sonnenlicht.
Sie kannte es nicht und erinnerte sich dennoch an alles.
Ephrons Erinnerungen waren die eines Mannes, nicht die eines Schiffes. Er hatte sich auf die Docks und die Händler konzentriert, die seine Waren erwarteten, und auf die architektonischen Wunder der Stadt weit über ihnen. Ephron hatte niemals die Abwässer bemerkt, die sich aus den Kanälen in das Hafenbecken ergossen. Und er konnte auch nicht mit jeder Pore seines Körpers den unterschwelligen Gestank der Seeschlangen wahrnehmen. Sie beobachtete die Wasseroberfläche, aber es gab keinerlei Anzeichen der listigen, bösen Kreaturen. Sie waren weit unten und wühlten sich durch den weichen Schlamm des Hafenbodens. Eine Vorahnung ließ sie zu dem Teil des Hafens blicken, wo die Sklavenschiffe vertäut waren. Der Wind trug ihren fauligen Geruch zu ihr. Der Geruch der Seeschlangen mischte sich mit dem von Tod und Fäkalien. Dort sammelten sich die meisten dieser Kreaturen, dahinten, weit unter den elenden Schiffen. Sobald sie entladen und für ihren neuen Handel vorbereitet war, würde sie neben ihnen ankern und ihre eigene Ladung an Elend und Verzweiflung an Bord nehmen. Viviace kreuzte die Arme und hielt sich fest. Trotz des sonnigen Tages fröstelte sie.
Seeschlangen.
Ronica saß in dem Arbeitszimmer, das einst Ephron genutzt hatte und von dem sie allmählich Besitz ergriff. In diesem Raum fühlte sie sich ihm immer noch am nächsten, und hier vermisste sie ihn auch am stärksten. In den Monaten seit seinem Tod hatte sie Schritt für Schritt das Durcheinander seines Lebens weggeräumt und es durch die Unordnung ihrer eigenen Papiere ersetzt. Dennoch war Ephron in diesem Raum präsent.
Der massive Schreibtisch war viel zu groß für sie, und wenn sie auf einem Stuhl saß, kam sie sich viel zu klein vor. Krimskrams und Zierrat seiner weiten Reisen bestimmten den Charakter dieses Raums. Ein massiver, ausgewaschener Wirbel einer gewaltigen Seekreatur diente als Hocker für die Füße, während ein Wandregal von geschnitzten Figürchen eingenommen wurde, von Muscheln und merkwürdigen Schmuckstücken weit entfernter Völker. Es war merkwürdig, ihre Kontobücher auf der polierten Oberfläche des Schreibtischs auszubreiten, ihre Teetasse und ihre Strickarbeit auf den Arm seines Sessels am Kamin zu stellen.
Sie war hierhergekommen und versuchte, darüber nachzudenken, was Ephron ihr geraten hätte zu tun.
Zusammengerollt lag sie auf dem Diwan gegenüber dem Kamin. Ihre Slipper hatte sie achtlos zu Boden fallen lassen. Sie trug ein weiches Wollkleid, das nach zwei Jahren bereits deutliche Spuren der regelmäßigen Nutzung zeigte. Sie hatte das Feuer selbst entzündet und fachte es an, während sie beobachtete, wie es aufflammte. Jetzt brannte es ruhiger und glühte rötlich. Ronica war entspannt, und ihr war warm, aber einer Antwort war sie immer noch nicht näher gekommen.
Gerade kam sie zu dem Schluss, dass Ephron vermutlich mit den Schultern gezuckt und ihr die Lösung des Problems überlassen hatte, als es an der schweren Holztür klopfte.
»Ja?«
Sie hatte Rache erwartet, doch statt ihrer trat Keffria ein. Sie trug bereits ihr Nachthemd und hatte ihr dichtes Haar zu einem Zopf geflochten, mit dem sie sich schlafen legte. Aber in den Händen trug sie ein Tablett mit einem dampfenden Topf und zwei Bechern. Ronica roch den Duft von Kaffee und Zimt.
»Ich hatte nicht mehr
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