Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
verschwunden, ein Unterton von Eifersucht oder Misstrauen, der bis jetzt immer mitgeschwungen hatte. Wintrow war froh, dass sie ihn anscheinend nicht mehr hasste, aber ihm war nicht ganz klar, wie er damit umgehen sollte. »Na gut«, sagte er schließlich unbeholfen. »Ich nehme an, ich sollte dann auch eine Weile schlafen.«
»Du kannst da schlafen, wo du warst«, bot sie ihm an. »Hier ist es warm und sauber. Und du bist in der Nähe, wenn Kennit dich braucht.«
»Danke«, erwiderte er verlegen. Er war nicht sicher, ob er hier auf dem Deck schlafen wollte. Der Gedanke, dass eine Fremde ihn im Schlaf beobachtete, gefiel ihm nicht. Was dann passierte, war noch merkwürdiger. Etta schüttelte den Stoff auf ihrem Schoß aus und hielt ihn hoch. Dabei glitt ihr Blick von ihrer Näharbeit zu ihm und wieder zurück. Es war eine Hose, und sie betrachtete Wintrow, offenbar um herauszufinden, ob sie passte. Er hatte das Gefühl, als müsste er etwas sagen, aber er wusste nicht, was. Sie faltete die Hose ohne einen weiteren Kommentar wieder zusammen, legte sie auf den Schoß, fädelte Garn ein und nähte weiter.
Wintrow ging wieder zu seiner Decke auf dem Boden. Er schlich fast wie ein Hund, der an seinen zugewiesenen Platz trottet. Er setzte sich hin, brachte es jedoch nicht fertig, sich hinzulegen. Stattdessen schlang er sich die Decke wie einen Schal um die Schultern. Er sah Etta an, die seinen Blick erwiderte. »Wie seid Ihr eine Piratin geworden?«, fragte er sie unvermittelt. Ihm war nicht klar gewesen, dass er das sagen wollte, bis die Worte aus seinem Mund drangen.
Sie holte tief Luft, und in ihrer Stimme schwang kein bisschen Bedauern mit, als sie antwortete: »Ich habe als Hure in einem Bordell in Divvytown gearbeitet. Kennit fand Gefallen an mir.
Eines Tages habe ich ihm geholfen, ein paar Männer zu töten, die ihn dort angriffen. Danach hat er mich aus diesem Hurenhaus geholt und hierhergebracht. Zuerst wusste ich nicht, warum er mich auf das Schiff brachte und was er von mir erwartete. Doch nach einer Weile wurde mir klar, was er wollte. Ich kann viel mehr sein als eine Hure, wenn ich will. Und er gab mir diese Chance.«
Wintrow starrte sie an. Ihre Worte hatten ihn schockiert. Nicht ihr Eingeständnis, Männer für Kennit getötet zu haben, das hatte er von einer Piratin erwartet. Sondern dass sie sich selbst eine Hure nannte. Es war ein Männerwort, ein Schimpfwort, das einer Frau an den Kopf geschleudert wurde. Aber sie schien nicht beschämt zu sein. Sie schwang das Wort wie ein Schwert und zerschmetterte damit all seine Spekulationen darüber, wer sie war. Sie hatte ihren Lebensunterhalt mit ihrem Geschlecht verdient, und anscheinend bereute sie es nicht. Das erweckte ein bebendes Interesse in Wintrow. Sie wirkte plötzlich noch mächtiger als vorher. »Was wart Ihr, bevor Ihr eine Hure wart?« Er betonte das Wort zu deutlich, weil er nicht gewohnt war, es auszusprechen. Es hatte nicht so bedeutsam klingen sollen, und eigentlich hatte er auch diese Frage gar nicht stellen wollen. Hatte Viviace ihn dazu getrieben?
Sie sah ihn finster an, wohl weil sie vermutete, dass er sie tadeln wollte. Ihr Blick war unbewegt und undurchdringlich. »Ich war die Tochter einer Hure.« Ihre Stimme hatte einen herausfordernden Unterton. »Und was warst du, bevor dein Vater dich zum Sklaven dieses Schiffes gemacht hat?«
»Ich war ein Priester des Sa. Das heißt, ich war dabei, zu einem ausgebildet zu werden.«
Sie hob eine Braue. »Tatsächlich? Nun, da bin ich lieber eine Hure!«
Ihre Worte beendeten das Gespräch unwiderruflich. Aber er war nicht beleidigt. Sie hatte nur auf die gewaltige Kluft hingewiesen, die zwischen ihnen bestand, und verneint, dass sie kommunizieren, geschweige denn sich beleidigen konnten. Etta widmete sich wieder ihrer Näharbeit und beugte den Kopf über den Stoff. Ihre Miene war vollkommen ausdruckslos. Wintrow hatte das Gefühl, als habe er eine Gelegenheit verpasst. Noch vor einigen Augenblicken schien ihm, als habe sie ihm eine Tür geöffnet. Jetzt war die Barriere wieder da, so undurchdringlich wie zuvor. Warum sollte mich das kümmern, fragte er sich. Aber die Tiefe seiner Enttäuschung überraschte ihn. Weil sie eine Hintertür bietet, Kennit zu beeinflussen, weil du vielleicht eines Tages ihren guten Willen brauchst, suggerierte der listige Teil in ihm. Wintrow schob den Gedanken beiseite. Weil sie auch ein Geschöpf von Sa ist, sagte er sich entschieden. Ich könnte mich mit ihr um
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