Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
und er selbst steckte unter einer Decke. Er befand sich immer noch auf den Planken der Kapitänskajüte und versuchte, sich zu orientieren. Er erinnerte sich noch an Traumfetzen von einem bemalten Glasfenster. Ein verängstigter Junge hatte sich dahinter versteckt. Das Fenster war zerbrochen. Irgendwie hatte Wintrow es wieder zusammengesetzt. Der Junge war dankbar gewesen. Nein. Nein, in dem Traum war er der Junge gewesen: Nein, er hatte den Mann wieder zusammengesetzt, während Berandol und Viviace ihn hinter einem Vorhang aus Wasser beraten hatten. Außerdem waren da auch noch eine Seeschlange und ein Drache gewesen. Ein siebenzackiger Stern, der entsetzlich schmerzte. Dann war er erwacht, Etta war ärgerlich auf ihn gewesen, und dann…
Es war nicht gut. Er konnte es einfach nicht zusammenfügen. Der lange Tag war in verschiedene Stücke zersprungen, die er nicht wieder in Einklang bringen konnte. Einige Teile stammten aus seinem Traum, so viel wusste er. Andere kamen ihm unerbittlich real vor. Hatte er tatsächlich heute Nachmittag einem Mann das Bein amputiert? Das schien ihm die unrealistischste Vorstellung von allen. Wintrow schloss die Augen und tastete nach Viviace. Er war sich ihrer bewusst, wie immer, wenn er nach ihr tastete. Zwischen ihnen gab es eine ständige, wortlose Kommunikation. Das spürte er, aber er merkte auch, dass sie abgelenkt schien. Es war kein Desinteresse ihm gegenüber, sondern sie wirkte fasziniert von etwas anderem. Vielleicht war sie so desorientiert wie er. Nun, jedenfalls nützte es überhaupt nichts, hier einfach liegen zu bleiben.
Er drehte den Kopf zur Seite und sah zu Kennits Koje hinüber. Die Brust des Piraten hob und senkte sich beruhigend unter seinem Bettzeug. Seine Gesichtsfarbe war zwar entsetzlich, aber er lebte. Wenigstens soviel an Wintrows Träumen hatte gestimmt.
Er holte tief Luft und stützte sich mit den Armen ab. Vorsichtig stemmte er sich von den Planken hoch und kämpfte gegen einen Schwindelanfall. Noch nie hatte eine Arbeitstrance ihn so geschwächt. Er wusste immer noch nicht genau, was er eigentlich getan hatte oder ob er überhaupt etwas geschafft hatte. In seinen Arbeitstrancen im Kloster hatte er gelernt, sich vollkommen mit seiner Kunst zu verbinden. Wenn er in ihr versunken war, verschmolzen die verschiedenen Aufgaben des Schaffens zu einem einzigen Akt. Anscheinend hatte er das irgendwie auch bei Kennits Heilung angewendet, aber er konnte nicht sagen, wie. Und er erinnerte sich auch nicht daran, sich auf diese Arbeitstrance vorbereitet zu haben.
Sobald er stand, ging er vorsichtig zum Bett. Fühlt es sich so an, wenn man betrunken ist, dachte er. Er schwankte, und ihm war schwindlig, und die Farben sah er viel zu hell, die Ränder der Gegenstände waren scharf abgegrenzt. Das konnte nicht richtig sein. Es war nicht angenehm. Niemand setzte sich freiwillig solchen Empfindungen aus. An Kennits Bettrand blieb er stehen. Irgendwie fürchtete er sich davor, den Verband am Bein des Piraten zu kontrollieren, aber er wusste, dass er es tun sollte. Vielleicht blutete er noch. Wintrow wusste nicht, was er in diesem Fall tun sollte. Verzweifeln, dachte er und griff vorsichtig nach der Decke.
»Weck ihn bitte nicht auf.«
Ettas Stimme klang so freundlich, dass er sie beinahe nicht erkannt hätte. Er drehte sich um, damit er sie ansehen konnte. Sie saß auf einem Stuhl in der Ecke des Zimmers. Unter ihren Augen schimmerten tiefe Ränder, was ihm vorher gar nicht aufgefallen war. Sie nähte an einem dunkelblauen Stoff, der auf ihrem Schoß lag. Etta sah ihn kurz an, biss ein Stück Faden ab, wendete ihre Arbeit und begann mit einem neuen Saum.
»Ich muss nachsehen, ob er noch blutet.« Seine Stimme klang belegt und unartikuliert.
»Es sieht nicht so aus. Aber wenn du die Bandagen abmachst, um nach der Wunde zu sehen, fängt es vielleicht wieder an. Am besten lassen wir ihn in Ruhe.«
»Ist er überhaupt schon aufgewacht?« Er konnte allmählich wieder klar denken.
»Kurz. Unmittelbar nachdem du… nachdem du ihn zurückgeholt hast. Ich habe ihm Wasser gegeben, eine ganze Menge Wasser, und dann ist er wieder eingeschlafen. Seitdem schläft er.«
Wintrow rieb sich die Augen. »Wie lange schläft er schon?«
»Fast die ganze Nacht«, antwortete sie ruhig. »Es wird bald Morgen.«
Wintrow wurde aus ihrem freundlichen Verhalten ihm gegenüber nicht schlau. Sie sah ihn weder herzlich an, noch lächelte sie ihm zu. Es war eher etwas aus ihrer Stimme
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