Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
polierte Reling. »Es ist ein großes Wunder für mich, dieses Verstehen, das sich zwischen uns entwickelt hat. Es ist ebenfalls ein Grund, warum ich mich davor fürchte, morgen in Bingtown anzulegen. Auf dir habe ich mich so sicher gefühlt. Es gefällt mir gar nicht, dich verlassen zu müssen.«
Als sie Schritte hinter sich auf Deck hörte, wandte sie den Kopf. Es war Grag. Er ging über das mondbeschienene Deck, und seine nackten Füße klatschten leise bei jedem Schritt. Er trug nur eine Hose. Sein Haar war zerzaust wie bei einem Jungen. Offensichtlich war er gerade erst aufgewacht, und trotzdem hatte er die Geschmeidigkeit eines Tigers, als er über das Deck kam. Althea lächelte. Und Ophelia beantwortete ihre Gedanken sehr, sehr leise. »Männer haben keine Ahnung von ihrer eigenen Schönheit.«
Grag grinste, als er näher kam. »Ich habe an Eure Tür geklopft. Als ich Euch nicht gefunden habe, wusste ich sofort, wo ich Euch suchen muss.«
»Ach, ja?« Ophelia hob eine Braue. »Ist es deine Gewohnheit, um diese Zeit an Altheas Tür zu klopfen? Ohne Hemd am Leib?«
»Nur wenn mein Vater mich weckt und mich darum bittet«, erwiderte Grag unerschrocken. »Er sagt, dass er sich gern ungestört mit uns unterhalten möchte.«
»Ich bin in dieses ›ungestörte‹ Gespräch nicht mit einbezogen?« Ophelia war unüberhörbar beleidigt.
»Ich vermute, doch, weil er mich gebeten hat, Althea zu wecken und sie zu bitten, hierher zu kommen. Ich dachte sogar, dass du es vielleicht vorgeschlagen hättest.«
»Nein. Es ist meine Idee.« Kapitän Tenira trat leise in ihren Kreis. Seine kurze, gebogene Pfeife glühte auf, und eine Wolke aromatischen Dufts wehte zu ihnen herüber. »Nennt mich einen furchtsamen alten Mann, wenn ihr wollt, aber es gibt einige Vorsichtsmaßnahmen, die ich gern ergreifen würde, bevor wir in Bingtown anlegen. Und sie betreffen Althea.« Sein ernsthafter Ton beendete ihre Frotzelei schlagartig.
»Was habt Ihr vor?«, wollte Althea wissen.
»Ich denke an unsere Begegnung mit dieser chalcedanischen Galeone. Sie segelte unter der Flagge des Satrapen. In Bingtown haben sich die Dinge in den letzten Jahren geändert. Ich weiß nicht, wie viel Gunst oder Einfluss dieser Kapitän hier haben mag oder ob er eine Beschwerde über unsere Reaktion einlegt.« Kapitän Tenira schnaubte verächtlich. »Vielleicht ist er sogar hierher geflohen, als er wieder weitersegeln konnte. Also. Je nachdem, wie viel Einfluss er hier hat… und wie sehr der Satrap mittlerweile vor Chalced kriecht… könnte uns ein höchst ungemütliches Willkommen erwarten.«
Alle schwiegen. Althea war klar, dass Grag offenbar genauso wenig darüber nachgedacht hatte wie sie. Nicht, dass sie diesen Vorfall als unbedeutend abgetan hätte, im Gegenteil! Ophelias wunderschöne, schlanke Finger waren versengt! Althea zuckte jedes Mal beim Anblick der geschwärzten Hände zusammen, ganz gleich, wie oft die Galionsfigur ihr auch versichert hatte, dass sie keine Schmerzen empfand, jedenfalls nicht so wie Menschen. Sie hatte sich darauf gefreut, nach Bingtown zu kommen, und erwartet, dass die anderen Alten Händler ihren tiefen Zorn über den Angriff teilen würden. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, man könnte annehmen, der chalcedanischen Galeone und ihrer Mannschaft wäre Unrecht geschehen.
Kapitän Tenira gab ihnen Zeit, über seine Worte nachzudenken, bevor er weitersprach. »Wie gesagt, ich bin vielleicht einfach nur ein furchtsamer alter Mann. Ich habe mich gefragt, was das Schlimmste wäre, das sie mir antun könnten. Nun, habe ich mir gesagt, sie könnten mein Schiff beschlagnahmen, wenn ich am Zollhafen anlege. Ja, sie könnten sogar meinen Ersten Maat und mich in Gewahrsam nehmen. Und wer würde dann zu meiner Familie gehen und ihnen sagen, was uns zugestoßen ist? Wer würde es vor dem Bingtown-Händlerkonzil bezeugen und sie um Hilfe ersuchen? Ich habe viele gute Matrosen, allesamt fähige Seeleute und verlässliche Männer, aber…«, er schüttelte den Kopf, »… keiner von ihnen ist ein guter Redner, geschweige denn ein Bingtown-Händler.«
Althea begriff sofort, worauf er hinauswollte. »Ihr wollt, dass ich gehe?«
»Wenn Ihr das tun würdet?«
»Selbstverständlich. Ohne zu zögern. Wie kommt Ihr darauf, dass Ihr mich darum bitten müsstet?«
»Na ja, daran habe ich auch nicht gezweifelt. Aber leider ist das nicht alles«, sagte Kapitän Tenira ruhig. »Je länger ich über mögliche Veränderungen in Bingtown
Weitere Kostenlose Bücher