Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
darüber nach, Grag. Wenn ich Euch heirate, muss ich nicht nur mein Schiff aufgeben, sondern es auch in den Händen eines Mannes lassen, den ich verachte. Wenn Ihr mich heiratet, müsst Ihr andere Partnerinnen aufgeben, die vielleicht eine sehr lukrative Alternative für Eure Familie darstellen. Wenn Ihr diese beiden Gesichtspunkte in Betracht zieht, dann sieht es nicht gut für uns aus.«
Grag holte langsam Luft. »Ich nehme an, Ihr habt Recht und…«
»Küss sie doch einfach, du Blödmann!«, zischte Ophelia vernehmlich.
Althea lachte schallend, verstummte jedoch schlagartig, als Grags Lippen ihr den Mund schlossen. Der Kuss kam überraschend, aber ihre Reaktion darauf bestürzte sie noch mehr. Ihr wurde siedend heiß am ganzen Körper, sie drehte sich zu ihm um und legte eine Hand auf seine Schulter. Sie erwartete, dass er sie umarmen und den Kuss vertiefen würde. Doch noch bevor sie sich überlegen konnte, wie weit sie ihn gehen lassen wollte, löste er sich von ihren Lippen und trat ein wenig zurück. Er würde es nicht tun. Das hier war Grag, nicht Brashen. Er wurde von seinem Kopf gesteuert, nicht von seiner Leidenschaft. Sie ignorierte die Enttäuschung über diesen Gegensatz. Als er seinen Mund von ihren Lippen löste, redete sie sich ein, dass sie den Kuss unterbrochen hätte, wenn er es nicht getan hätte. Grag Tenira musste man ernst nehmen. Er war keine unbedeutende Nummer in irgendeinem fernen Hafen. Wie sie die Angelegenheit mit ihm handhabte, konnte den Rest ihres Lebens in Bingtown bestimmen. Vorsicht war der bessere Weg.
Sie atmete einmal tief durch. »Na!«, sagte sie und versuchte, mit ihrem Tonfall Überraschung auszudrücken, ohne dabei beleidigend zu sein.
»Tut mir Leid«, murmelte er und sah mit einem schiefen Grinsen zur Seite, das alles andere als verlegen wirkte. »Ophelia kommandiert mich herum, seit ich acht Jahre alt war.«
»Es klang wirklich wie ein Befehl«, stimmte Althea liebenswürdig zu. Sie drehte sich um und blickte aufs Meer. Nach einem Moment legte er seine Hand erneut über ihre.
»Es gibt sicher einige Schwierigkeiten, die zu bewältigen wären«, sagte er abwägend. »Das trifft aber auf jedes Unternehmen zu. Althea, ich bitte Euch nur, dass Ihr über meinen Antrag nachdenkt. Ich kann Euch kaum jetzt sofort um eine Antwort bitten. Ihr habt es ja nicht einmal mit Eurer Familie besprochen, und auch ich habe mit dem Thema nicht vor meinen Eltern herumgeprahlt. Wir wissen ja nicht einmal, welcher Sturm uns erwartet, wenn wir in Bingtown anlegen. Ich möchte einfach nur, dass Ihr meinen Antrag in Betracht zieht. Das ist alles.«
»Das werde ich«, antwortete sie. Die Nacht war so schön, und seine schwielige Hand auf ihrer war so warm.
Althea wusste nicht, was Kapitän Tenira oder Grag der Mannschaft erzählt hatte, aber niemand wirkte sonderlich überrascht, als sie in ihrer Jungenverkleidung an Deck erschien. Die Ophelia lief im Hafen von Bingtown ein. Wenn einer aus der Mannschaft Althea als Athel aus Candletown erkannte, war dennoch keiner so dumm, es zuzugeben. Stattdessen akzeptierten sie, dass sie sich neben ihnen abmühte, und zogen sie nur manchmal mit gutmütigem Spott auf. Die Ophelia segelte weiter. Das erfahrene Schiff wusste, worauf es ankam, arbeitete reibungslos mit der Mannschaft zusammen und rief sogar dem Mann am Ruder Korrekturen zu.
Die Boote der Ophelia wurden ausgesetzt, um sie an ihren Liegeplatz am Zollhafen zu rudern. Althea setzte sich auf eine Bank und packte ein Ruder. Kapitän Tenira fand, dies sei der beste Weg, sie von dem Schiff zu entfernen und ihr eine Gelegenheit zu geben zu entkommen, falls das erforderlich wurde. Nach all den Vorbereitungen war es beinahe eine Enttäuschung zu sehen, dass der Betrieb im Hafen ganz gewöhnlich zu laufen schien. Niemand schien von der Ophelia besondere Notiz zu nehmen. Während Althea den geschäftigen Handelshafen betrachtete, überkam sie plötzlich ein Gefühl, das weit intensiver war als Heimweh. Sie war schon auf langen Reisen mit ihrem Vater gewesen und viel weiter gesegelt als auf diesem Törn. Dennoch kam es ihr so vor, als sähe sie Bingtown zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder.
Bingtown lag geschützt in einer funkelnden, blauen Bucht. Sanft geschwungene Hügel in dem leuchtenden Grün des Frühlings erstreckten sich hinter der lebhaften Kaufmannsstadt. Noch bevor sie anlegten, konnte sie den Rauch, die Küchendüfte und das Vieh riechen. Die schrillen Rufe der Hausierer auf dem
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