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Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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so viele Dinge geschehen. Als sie Divvytown verließen, ragte bereits ein halbes Dutzend bunt ge mischter Gebäude aus der Asche empor. Ein hölzerner Turm, der die Höhe eines Schiffsmastes erreichte, war bereits mit einem Wachposten besetzt, während ein Turm aus Stein sich langsam um ihn herum erhob. Die Leute nannten Kennit König. Es war sowohl ein Zeichen ihrer Zuneigung als auch ein Titel. »Frag den König«, rieten sie sich gegenseitig und deuteten mit einem Nicken auf den Mann mit dem Holzbein, der immer einige Pergamentrollen unter den Arm geklemmt hatte. Bei ihrem letzten Blick auf Divvytown hatten sie die Rabenflagge stolz am Fahnenmast ganz oben auf dem Turm flattern sehen. »Wir bleiben hier!«, war unter den ausgestreckten Flügeln und dem gierigen Schnabel des Tieres eingestickt.
    Jetzt hatte die Viviace in der Bucht der Tücke angelegt und war an Bug und Heck mit einem Anker gesichert. Die Flut schwoll um sie herum an. Kennit hatte gesagt, dass dies der einzige sichere Ankerplatz auf der ganzen Insel wäre. Wenn die Flut am höchsten stand, wollte er mit Wintrow das Schiff verlassen und an Land rudern. Sie wollten das Orakel befragen. Kennit hatte darauf bestanden, dass Wintrow dem Strand der Schätze einen Besuch abstattete.
    Weiter draußen auf See sahen sie die Silhouette der Marietta , die in den wabernden Nebelschwaden nur schwach zu erkennen war. Sie würde dort bleiben, sie beobachten und nur näher kommen, wenn sie Hilfe brauchten. Das merkwürdige Wetter ging allen auf die Nerven. Blickte man hinaus aufs Meer, schien man wie über eine weite Entfernung in eine andere Welt zu schauen. Die Marietta wurde immer wieder von dem Nebel verschluckt, doch hier in der Bucht brütete die Sonne. Kein Lüftchen regte sich. Die Stille umhüllte Wintrow und machte ihn schläfrig.
    »Mir gefällt es hier gar nicht«, betonte das Schiff.
    Wintrow seufzte. »Mir auch nicht. Einige finden das ja vielleicht aufregend, aber ich habe Omen und Ahnungen immer gefürchtet. Im Kloster haben einige Akolythen mit Kristallen und Samen herumgespielt, sie geworfen und dann aus ihnen die Zukunft gelesen. Die Priester haben es mehr oder weniger geduldet. Einige fanden es amüsant und sagten, wir würden Besseres lernen, wenn wir größer würden. Doch einer meinte, wir sollten lieber mit Messern spielen. Instinktiv habe ich ihm zugestimmt. Wir stehen alle am Abgrund der Zukunft, warum sollten wir freiwillig von der Steilwand herunterspringen? Ich glaube, dass es wahre Orakel gibt, die vorhersehen und erkennen können, wohin der Weg von jemandem führt. Aber ich glaube auch, dass es gefährlich ist.«
    »Das meine ich nicht«, unterbrach ihn die Galionsfigur scharf. »Davon verstehe ich nichts. Ich erinnere mich jedoch an diesen Ort.« In ihrer Stimme schwang ein verzweifelter Unterton mit. »Ich erinnere mich an diesen Ort, aber ich weiß, dass ich niemals hier gewesen bin. Wintrow! Ist das deine Erinnerung? Warst du schon einmal hier?«
    Wintrow presste die Hände auf das Deck und öffnete sich ihr. Er versuchte, sie zu trösten. »Ich war niemals hier, Kennit dagegen schon. Du bist ihm sehr nah. Vielleicht mischt sich jetzt schon seine Erinnerung mit deiner.«
    »Blut ist Erinnerung. Sein Blut ist in mich hineingesickert, und ich kenne seine Erinnerung von diesem Ort hier. Es ist die eines Menschen. Aber als ich das letzte Mal in diesen Gewässern war, bin ich hindurchgeglitten, schnell und glatt. Ich war frisch. jung. Ich habe hier. begonnen, Wintrow. Und zwar nicht einmal, sondern viele Male.«
    Sie war besorgt. Er streckte seine geistigen Fühler nach ihr aus und spürte die flüchtigen Schatten ihrer Erinnerungen, die so alt waren, dass sie selbst sie nicht fassen konnte. Sie entglitten ihr, nachgiebig und unfassbar, wie die Muster des Sonnenlichts unter seinen Lidern. Doch das Wenige, was er entschlüsseln konnte, beunruhigte ihn. Er erkannte sie genauso gut wie sie. Schwingen unter der Sonne. Bilder von den Tiefen des Meeres, umrahmt von grünlichem Leuchten. Das waren die Bilder seines tiefsten Schlafes. Fieberschatten, die zu hell und zu hart waren, um dem Licht des Tages zu begegnen. Er versuchte, sein Unbehagen zu verbergen. »Wie kannst du viele Male beginnen?«, fragte er sie behutsam.
    Sie strich sich das glänzende Haar aus dem Gesicht und drückte die Hände gegen ihre Schläfen, als täte ihr das gut. »Es ist ein Kreis. Ein Kreis, der sich dreht. Nichts hört auf, nichts geht verloren, und alles dreht

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