Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
Euch sehen. Sofort.« Clefs junge Stimme drang durch die geschlossene Tür. Der Befehl ließ sie irgendwie offiziell klingen.
»Kann ich mir denken«, murmelte sie. Laut rief sie: »Ich komme!« Mit steifen Gliedern kletterte sie aus der Koje.
Es war Nachmittag, aber ihr kam es vor wie mitten in der Nacht. Sie hätte schlafen sollen. Müde schaute sie sich in dem kleinen Raum um. Jek hatte Dienst, und es sah aus, als wäre Amber bei Paragon geblieben. Althea hatte ihn aufgegeben, jedenfalls einstweilen. Nach dem Vorfall mit der Seeschlange hatte das Schiff eine Weile gewütet. Die Sätze, die er ausgestoßen hatte, hatten Althea keine Ruhe gelassen, denn sie ergaben beinahe einen Sinn. »Blut ist Erinnerung«, hatte er verkündet. »Ihr könnt es vergießen, ihr könnt es verzehren, aber ihr könnt niemals ausradieren, was es beinhaltet. Blut ist Erinnerung.« Er hatte diesen Satz wiederholt, bis Althea glaubte, dass sie verrückt wurde. Nicht wegen der Wiederholungen, sondern weil sie die Bedeutung des Satzes nicht fassen konnte. Dabei war sie immer ganz kurz davor, ihn zu begreifen.
Sie nahm ihr Hemd und betrachtete es. An einigen Stellen war es steif von ihrem eigenen getrockneten Blut, und an anderen hatte das Gift der Schlange Löcher hineingefressen. Der Gedanke, die grobe Baumwolle über ihren wunden Körper zu ziehen, ließ sie erschaudern. Sie stöhnte und hockte sich hin, um ihren Seesack unter Ambers Koje herauszuziehen. Darin befand sich noch ein Hemd, ein leichtes »Stadthemd«. Sie wühlte es heraus und streifte es über ihre entzündete Haut.
Paragon hatte zuerst noch verwirrt gemurmelt und war schließlich verstummt. Es war dieses schreckliche, unzugängliche Schweigen, mit dem er sich vollkommen von der Welt abkapselte. Althea fand, dass er beinahe lächelte, aber Amber wurde fast verrückt vor Sorge. Als Althea sie verlassen hatte, saß die Perlenmacherin auf dem Bugspriet und spielte Flöte. Sie nannte die Lieder Wiegenlieder, aber Althea hatte so etwas noch nie gehört. Sie war an der Mannschaft vorbeigegangen, die das Gift und das Blut vom durchlöcherten Deck des Paragon schrubbte. Sie war stehen geblieben und hatte sich über den Schaden gewundert, den das Gift in dem eisenharten Hexenholz angerichtet hatte. Es hatte Löcher und kleine Mulden in das Deck geschmolzen. Dann war sie in ihre Kabine gegangen und sofort in ihre Koje gesunken.
Wie lange war das her? Nicht lange genug. Und jetzt hatte Brashen Clef gesandt, damit er sie holte. Vermutlich wollte er ihr sagen, wie sie den Vorfall hätte handhaben sollen. Nun, das war das Vorrecht des Kapitäns. Sie hoffte nur, dass er schnell redete, sonst würde sie vor seiner Nase einschlafen. Sie gürtete ihre Hose und schritt ihrem Untergang entgegen.
An der Tür zu Brashens Kabine strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und stopfte das Hemd in ihre Hose. Sie wünschte sich, dass sie sich nach dem Kampf und bevor sie ins Bett gegangen war gewaschen hätte. In dem Moment war ihr das zu anstrengend erschienen. Und jetzt war es zu spät. Sie klopfte an die Tür und wartete auf Brashens »Herein!«.
Sie schloss die Tür hinter sich, starrte ihn an und vergaß sich. »Oh, Brashen!«
Seine dunklen Augen wirkten entsetzlich in dem geschwollenen Gesicht. Große, wässrige Blasen bedeckten seine Wangen und seine Stirn und wirkten wie die Warzen der Regenwildleute. Die zerfetzten Reste des Hemdes hingen über einer Stuhllehne. Er trug das frische Hemd locker über den Schultern, als könnte er die Berührung auf der Haut kaum ertragen. Als er lächelte, erinnerte es eher an ein Zähnefletschen. »Du siehst auch nicht besser aus«, meinte er und deutete auf das Waschbecken in einer Ecke. »Ich habe noch etwas warmes Wasser im Krug übrig gelassen.«
»Danke«, sagte sie verlegen. Er drehte ihr den Rücken zu, als sie sein freundliches Angebot annahm. Sie zischte, als sie ihre verletzten Hände in das Becken senkte, doch als das Stechen nachließ, konnte sie sich nicht erinnern, jemals etwas so Gutes gefühlt zu haben.
»Haff wird durchkommen. Ihn hat es von uns allen am schlimmsten erwischt. Der Koch musste ihn mit frischem Wasser abwaschen. Der arme Kerl konnte es kaum ertragen. Er hat überall Blasen. Das Gift hat ihm die Kleidung förmlich vom Leib gefressen. Dieses gut aussehende Gesicht dürfte jetzt einige Narben aufweisen, denke ich.« Er hielt inne und meinte dann: »Er hat sich deinen Befehlen genauso widersetzt wie meinen.«
Althea wusch
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