Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
hatte gedacht, da wäre etwas zwischen uns. Etwas das.«
»Wir sind besser dran, so wie wir jetzt sind«, unterbrach Althea ihn schnell.
»Zweifellos«, antwortete er knapp.
Das Schweigen dehnte sich aus. Sie betrachtete ihre mitgenommenen Hände. Alle Knöchel waren geschwollen. Als sie die Finger ihrer rechten Hand dehnte, fühlte es sich an, als wäre Sand in den Gelenken. Aber sie bewegten sich noch. Nur um das Schweigen zu brechen, fragte sie: »Wenn man seine Finger noch bewegen kann, bedeutet es doch, dass sie nicht gebrochen sind, oder?«
»Es bedeutet, dass sie nicht schlimm gebrochen sind«, verbesserte Brashen sie. »Lass mich mal sehen.«
Althea wusste, dass es ein Fehler war, aber sie drehte sich trotzdem um und hielt ihm die Hände hin. Er trat zu ihr und nahm beide Hände in seine. Er bewegte ihre Finger und tastete die Knochen an ihren Händen ab. Als er ihre Knöchel sah, schüttelte er den Kopf, und beim Anblick der Zahnspuren zuckte er zusammen. Dann ließ er eine Hand los und hob ihr Kinn. Kritisch musterte er ihr Gesicht. Sie erwiderte den prüfenden Blick. Selbst auf seinen Augenlidern befanden sich Blasen, aber seine dunklen Augen blickten klar. Es war ein Wunder, dass er sein Augenlicht nicht verloren hatte. Das offene Hemd entblößte die Blasen auf seiner Brust. »Du wirst wieder gesund«, sagte er, neigte den Kopf und nickte. »Du bist eine starke Frau.«
»Vermutlich hast du mir das Leben gerettet, als du das Ding mit dem Ruder abgelenkt hast«, meinte sie plötzlich.
»Ja. Ich bin ein verdammt gefährlicher Bursche mit dem Ruder.« Er hielt immer noch ihre Hand fest. Ohne jede Warnung zog er sie dichter an sich heran. Als er sich herunterbeugte, um sie zu küssen, wich sie nicht zurück. Sie hob stattdessen das Gesicht. Sein Mund war weich und zärtlich auf ihrem. Sie schloss die Augen und weigerte sich, klug zu sein. Sie weigerte sich sogar, überhaupt zu denken.
Er unterbrach den Kuss, zog sie dichter an sich heran, umarmte sie jedoch nicht. Einen Moment legte er sein Kinn auf ihren Kopf. Seine Stimme klang tief und rau: »Du hast Recht. Ich weiß, dass du Recht hast. So ist es besser zwischen uns.« Er seufzte schwer. »Das macht es allerdings kein bisschen leichter für mich.« Er ließ ihre Hand los.
Althea wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr fiel das ebenfalls nicht leicht, aber wenn sie ihm das sagte, machte es das für sie beide noch schwerer. Er hatte gesagt, sie wäre eine starke Frau. Sie bewies es, indem sie zur Tür ging. »Danke«, sagte sie leise. Er antwortete nicht, und sie ging hinaus.
Auf dem Weg durch den Korridor kam sie an Clef vorbei. Er hatte einen nackten Fuß gegen die Wand gelehnt und kaute an der Unterlippe. Sie sah ihn stirnrunzelnd an, weil er herumtrödelte. »Durch Schlüssellöcher gucken gehört sich nicht«, erklärte sie ernst, als sie an ihm vorbeiging.
»Den Käpt'n küssen auch nich«, erwiderte er frech. Mit einem Grinsen verschwand er.
11. Das Orakel
»Mir gefällt das nicht.« Viviace sprach leise, aber ihre Worte hallten in ihm wider.
Wintrow lag ausgestreckt auf dem Bauch auf dem Vordeck und ließ sich von der Sonne wärmen. Er hatte seine Decke in der schwülen Nacht abgeworfen, aber das Hemd hatte er um den Kopf gewickelt. Die Wärme der Sonne linderte den Schmerz in seinem Arm, aber ihre Helligkeit verstärkte seine Kopfschmerzen, sodass er nicht schlafen konnte. Er fügte sich ins Unvermeidliche. Außerdem musste er sowieso bald aufstehen. Dabei sehnte er sich danach, einfach nur ruhig liegen bleiben zu können. Die anderen schienen sich längst von ihren Verletzungen erholt zu haben, die sie in Divvytown davongetragen hatten. Er kam sich wie ein Schwächling vor, dass ihn ein paar Hiebe mit einem Prügel so lange außer Gefecht setzten. Und er wollte nicht darüber nachdenken, dass seine Wunden vielleicht deshalb mehr schmerzten, weil er den Mann getötet hatte, der sie ihm zugefügt hatte. Das war alberner Aberglaube.
Wintrow rollte sich auf den Rücken. Selbst durch das Hemd und die geschlossenen Augenlider tanzte die Sonne auf seinen Augäpfeln. Manchmal glaubte er, in diesem Muster Dinge erkennen zu können. Er presste die Augenlider zusammen, und grüne Blitze zuckten wie angreifende Seeschlangen über seine Netzhaut. Er lockerte die Lider, und die Farbe wurde wieder blasser.
Der Hochsommer neigte sich allmählich dem Ende zu, während sich das Jahr unaufhaltsam dem Herbst näherte. In den vergangenen Monaten waren
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