Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
aus und beugte sich zu dem kleinen Boot herunter, als wollte sie sich von dem Schiff losreißen, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Ihr Haar wehte ihr aus dem Gesicht. Eine Welle schlug gegen sie, und sie tauchte so tief in sie ein, dass das Wasser über das Deck strömte. Aber sie erhob sich wieder daraus, und als sie aus dem Tal auftauchte, hatte sie die Hände immer noch vorgestreckt. Der Sturm bemühte sich, sie wegzublasen, und doch streckte sie sich nach Kennit aus, ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten.
»Ich werde leben!«, brüllte Kennit in das Heulen des Windes. »Ich verlange es!« Mit einer Hand umfasste er sein anderes Handgelenk, als er in den Sturm deutete. »ICH BEFEHLE ES!«, brüllte er.
Der König vollbrachte sein erstes Wunder.
Aus den Tiefen desselben Meeres, das sich ihm widersetzte, stieg die Kreatur auf und gehorchte seinem Befehl. Die Schlange durchbrach am Heck des Bootes die Wasseroberfläche. Sie riss ihr Maul auf und stimmte in Kennits Schrei mit ein. Etta duckte sich, kleine, närrische Kreatur, die sie war, und presste Wintrow an ihren Busen. Sie tastete blindlings nach dem Dolch, den sie längst verloren hatte, während sie hilflos ihr Entsetzen herausschrie.
Dann unterwarf sich die Seeschlange, dieses riesige Biest, Kennits Wünschen. Sie verneigte sich tief vor ihm, während er im Bug stand und dem Sturm trotzte. Als seine Seeleute schrieen, drehte er sich zu ihr um. Sein Gesicht war kreideweiß und angespannt, als er auf sie deutete. Sein Mund war offen, aber entweder sagte er nichts zu dem Geschöpf, oder der Wind wehte seine Worte weg. Später würden die Ruderer dem Rest der Mannschaft erzählen, dass die Befehle, die Kennit der Schlange gab, nicht für menschliche Ohren bestimmt waren. Sie lehnte ihre breite Stirn an das Heck des Bootes und schob. Plötzlich glitt das kleine Boot durch die wogenden Wellen auf die Viviace zu. Kennit sank erschöpft von dem Ausbruch seiner Macht auf den Sitz im Bug zurück. Etta wagte nicht, ihn anzusehen. Sein Gesicht strahlte etwas aus, ein Gefühl, das vielleicht nur die von Gott Auserwählten empfinden konnten.
Das Heck des Bootes stank und qualmte, wo der Schleim der Schlange es überzog. Etta versuchte ihre Angst abzuschütteln, denn die Schlange gehorchte ja Kennits Befehl. Sie beugte sich über Wintrows Körper und hielt ihn so zart fest, wie sie konnte, während die Kreatur sie durch die Wellen schob. Sie kannte keine Gnade mit dem winzigen Boot, sondern zwang es rücksichtslos durch die hoch aufgetürmten Wellen. Die Ruderer kauerten sich am Boden des Bootes zusammen, entsetzt und voller Ehrfurcht.
Die Viviace schwankte hartnäckig auf sie zu. Dann schienen einen Moment lang zwei Ozeane zusammenzustoßen und zu kochen. Weder Wellen noch Wind folgten einem klaren Muster. Der Atem der Welt selbst traf sie, drohte ihnen die Kleider vom Leib und die Haare vom Kopf zu reißen. Etta war fast taub von dem Lärm, aber die Seeschlange war davon vollkommen unbeeindruckt und schob das kleine Boot unbeirrt weiter.
Mit einem Mal befanden sie sich in der gleichen Strömung und im gleichen Wind wie die Viviace . Freudig ergriffen See und Wind sie und halfen der Schlange, sie zusammenzubringen. Der Wind und die Strömung, die sich der Viviace entgegenstemmten, trieben das kleine Boot umso schneller in ihre Arme. Viviace wurde hart von einer Welle getroffen. Die Matrosen, die mit wurfbereiten Leinen am Bug des Schiffes warteten, klammerten sich verzweifelt an der Reling fest, damit sie nicht ins Wasser geschleudert wurden.
Doch als Viviace aus der Welle auftauchte, die sie kurz verschlungen hatte, hielt sie das hilflose Boot fest in ihren großen Armen. Etta war der Galionsfigur noch nie so nah gewesen.
Als Viviace sie aus dem Meer hob, dröhnte ihre Stimme direkt über ihnen. »Danke, danke! Tausend Segenswünsche für dich, Schwester des Meeres! Danke!« Silbrige Freudentränen liefen dem Lebensschiff über die Wangen und fielen ins Meer.
Während die Ruderer eiligst zu ihren Kameraden an Deck krabbelten, saß Kennit im Bug und lachte schallend vor Freude. Wenn seine Heiterkeit vielleicht auch etwas Wahnsinniges hatte, so war das doch längst nicht das Furchterregendste an ihm. Denn als seine Männer hinuntergriffen und ihn hochzogen, erhob sich diese grüngoldene Seeschlange erneut aus den kochenden Wogen und starrte ihn an. Etta war wie gebannt von diesem rotierenden, goldenen Blick. Sie schien in den Tiefen des Auges zu versinken und.
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