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Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Mensch, und er war verletzt, schwer verletzt. Jemand berührte ihn und verstärkte den Schmerz noch. Jetzt konnte er ihnen nicht mehr entfliehen.
    »Kannst du mich hören, Junge? Wir sind fast am Schiff. Wir können deinen Schmerz bald lindern. Bleib wach. Gib nicht auf!«
    Das Schiff. Viviace. Er zuckte entsetzt zurück. Wenn die Anderen Missgestalten waren, was war dann sie? Er holte tief Luft. Es fiel ihm schwer, aber noch mühsamer war es, den Atem als Worte wieder auszustoßen. »Nein«, stöhnte er. »Nein.«
    »Wir sind bald auf der Viviace . Sie wird dir helfen.« Er konnte nicht sprechen, weil seine Zunge in seinem Mund zu stark geschwollen war. Er konnte sie nicht anflehen, ihn nicht auf das Schiff zurückzubringen. Irgendetwas in ihm liebte sie noch, obwohl er jetzt wusste, was sie war. Wie konnte er das ertragen? Konnte er für sich behalten, was er über sie wusste? So lange hatte sie geglaubt, dass sie wirklich lebendig wäre. Er durfte ihr nicht verraten, dass sie tot war.
    Noch nie hatte das Meer so gegen sie gewütet wie jetzt. Etta kauerte im Heck des Bootes und hielt Wintrows durchnässten Körper in den Armen. Die vier Seeleute legten sich mächtig in die Riemen. Es schien zwei Strömungen zu geben, eine, mit der die Viviace segelte, und eine gegenläufige, die das kleine Boot gepackt hielt und damit spielte wie ein Hund mit seinem Knochen. Der Regen peitschte herunter, und der Wind verstärkte die Strömung. Kennit hockte zusamengekauert im Bug. Die Krücke hatte er verloren, als sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten. Etta konnte ihn in dem Regen kaum erkennen. Kennits Haar klebte an seinem Kopf, und sein Schnurrbart war vor Nässe vollkommen glatt. Als die Regenwand eine Sekunde aufriss, glaubte Etta, die Marietta in der Ferne zu sehen. Ihre Segel hingen schlaff herunter, und das Sonnenlicht glänzte auf ihren Decks. Im nächsten Moment musste Etta Regentropfen von ihren Wimpern schütteln. Sie sagte sich, dass sie es sich eingebildet hatte. Das war doch einfach unmöglich!
    Wintrow lag schwer auf ihren Beinen. Wenn sie sich über sein Gesicht beugte, hörte sie kaum, wie er pfeifend atmete. »Weiter atmen, Wintrow. Atme weiter.« Wenn sie irgendwo anders auf ihn gestoßen wäre, hätte sie ihn nicht erkannt. Er bewegte schwach seine fetten, aufgedunsenen Lippen, aber es waren nur lautlose Worte.
    Sie hob wieder den Blick. Es war unerträglich für sie, ihn anzusehen. Kennit war in ihr Leben getreten und hatte sie gelehrt, wie es ist, geliebt zu werden. Er hatte ihr Wintrow gegeben, und sie hatte gelernt, eine Freundin zu sein. Und jetzt wollte diese verdammte Seeschlange ihr das wieder wegnehmen, wo sie es gerade erst kennen gelernt hatte. Ihre salzigen Tränen vermischten sich mit den Regentropfen, die über ihr Gesicht liefen. Sie konnte es nicht ertragen. Hatte sie denn nur gelernt, wieder zu empfinden, damit sie das hier fühlte? Konnte noch so viel Liebe das Gefühl wert sein, sie wieder zu verlieren? Sie konnte ihn nicht einmal festhalten, während er starb, denn der Schleim auf ihm fraß sich durch ihre Kleider. Wenn sie ihn berührte, rieb sie damit auch ein Stück Haut von ihm weg. Sie hielt ihn so locker, wie sie konnte, während die Gig schwankte und der Viviace kein bisschen näher zu kommen schien.
    Etta spähte durch den Sturm. Kennit starrte sie an. »Lass ihn nicht sterben!«, schrie er ihr zu.
    So machtlos kam sie sich vor. Sie konnte Kennit nicht einmal sagen, wie hilflos sie sich fühlte. Als sie sah, wie er sich duckte, dachte sie, er würde durch das Boot kriechen und ihr irgendwie helfen. Stattdessen stand er plötzlich auf und spreizte den Stumpen und den Fuß breitbeinig auf dem Boden des Bootes. Er drehte ihr und den Ruderern den Rücken zu und wandte das Gesicht in den Sturm, der ihnen so zu schaffen machte. Er warf den Kopf in den Nacken. Der Wind klatschte seine weißen Hemdsärmel gegen seine Arme und ließ sein schwarzes, sein rabenschwarzes Haar flattern.
    »NEIN!«, brüllte er dem Sturm entgegen. »Nicht jetzt! Nicht, wo ich meinem Ziel so nah bin! Du wirst mich nicht bekommen und mein Schiff auch nicht! Bei Sa, bei El, bei Eda, der Göttin der Fische, bei allen namenlosen Göttern schwöre ich, dass du weder mich noch die Meinen bekommen wirst!« Er streckte die Hände aus, die Finger zu Klauen gekrümmt, als ob er den Wind packen wollte, der ihnen entgegenblies.
    »KENNIT!«
    Viviaces Stimme drang durch den Sturm. Sie streckte ihre hölzernen Arme nach ihnen

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