Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
können.
Aber sie war hier die Einzige weit und breit. Sie hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht daran und zog. Wundersamerweise drehte es sich, wenn auch nicht sehr weit. Hoch oben an der Wand bewegte sich etwas. Sie trat von der Kurbel weg zu der anderen und drehte diese. Sie bewegte sich leichter als ihr Gegenstück, aber nicht viel weiter. Malta ging wieder zu der ersten Kurbel zurück. Sie drehte sich ein Stück. Dann wieder zur anderen. Sie drehte sie und hörte, wie sich in der Wand etwas bewegte. Etwas verschob sich unmerklich. Die Tür selbst bewegte sich ebenfalls ein winziges Stück. Malta hängte sich an die Kurbel und bewegte sie erneut ein bisschen. Eigenartige Geräusche drangen durch die Wand und die Tür. Uralte Ketten bewegten sich auf Rollen, ihre Erinnerungen flüsterten. Gegengewichte sanken langsam herab. So war sie doch entworfen worden, weißt du noch? Erinnere dich! Erinnere dich daran, wie sie entworfen worden ist. Erinnere dich daran, wie die ganze Kuppel konstruiert ist.
Plötzlich sah sie die Wand und die Tür und ihren Mechanismus mit anderen Augen. Die Erinnerung, wie sie eigentlich hätte sein sollen, kontrastierte zu scharf mit dem, was ihre Hände ihr mitteilten. Sie betastete den Schmutz und die Erde mit den Händen und schloss die Augen, um die Erinnerung auszublenden, wie es gewesen war. Sie tastete sich bis zur Tür und strich über die Ausbeulungen in ihrer Oberfläche, über die Risse, die sich darüberzogen. Dann wirbelte Malta herum. »Die ganze Seite des Gebäudes wird einstürzen, wenn diese Tür bewegt wird. Es ist nur durch einen Zufall überhaupt noch so lange intakt geblieben.«
»Wenn sie nachgibt, wird die Erde herunterfallen, und das Licht wird hereinscheinen« , antwortete das Drachenweibchen. »Mach weiter.«
»Wenn du dich irrst, wirst du hier begraben werden - und ich mit dir.«
»Lieber das, als hier so weiter existieren. Dreh die Kurbel, Malta. Du hast es versprochen.«
Wie machtvoll ein Name doch sein kann. Sie wurde wieder sie selbst, eine junge Frau mit schmutzigen Kleidern in der Dunkelheit. Der stolze junge Erbauer war verschwunden, nicht einmal mehr eine Erinnerung, wie ein Traum, der sich verflüchtigt, je mehr ihn der Erwachende festhalten will. Sie packte die Kurbel und drehte sie noch ein Stück.
Es war das letzte Stück, das die Kurbeln sich drehen ließen. Malta ging immer wieder von der einen zur anderen, fluchte und zerrte. Weiter wollte sich der uralte Mechanismus nicht bewegen lassen. Die Wand schien bedrohlich mit sich selbst zu murmeln, aber die Tür gab nicht nach.
»Sie ist blockiert. Ich kann nichts machen. Ich habe es versucht. Es tut mir Leid.«
Eine Weile schwieg das Drachenweibchen. Dann befahl es: »Hol Hilfe. Dein Bruder... Ich sehe ihn. Du beherrschst ihn mit Leichtigkeit. Hole ihn und benutze zwei Stangen als Hebel. Geh. Sofort.«
Es gab gute Gründe, sich diesem Befehl zu widersetzen, aber sie fielen Malta nicht ein. Sie konnte sich kaum an diesen Bruder erinnern, den der Drache erwähnt hatte. Die Tür und die Mittel, sie zu öffnen, waren das Einzige, was zählte. Und die Stöcke waren eine gute Idee. Sie konnte sie durch die Speichen der Kurbel schieben und sie so zwingen, sich zu drehen.
Sie bewegte sich sicher in dem Licht, das sie aus einer anderen Zeit erinnerte. Langsam ging sie die breiten Stufen zum Nordportal hinauf und verließ die Kammer. Während sie ging, tastete sie unwillkürlich nach dem Jidzin und beleuchtete den Flur. Sie blinzelte, und er schien von Leben erfüllt. Adlige flanierten an ihr vorbei, und ihre Kolonnen von Pagen bedienten sie. Eine Näherin und ihre beiden jungen Schülerinnen traten rückwärts aus einer Tür und verneigten sich tief. Über ihren Armen hingen prächtige Stoffe. Ein Kindermädchen mit einem rosigen Kind, das in ihren Armen weinte, hastete auf sie zu und dann durch Malta hindurch. Das Mädchen grüßte fröhlich einen jungen Mann mit einer Mütze, und er pfiff als Antwort. Malta war hier der unsichtbare Geist, nicht sie. Die Stadt gehörte ihnen.
Sie stolperte plötzlich über einen herabgestürzten Stein. Als sie die Wand losließ, herrschte schlagartig wieder Finsternis. Dies war ihre Zeit, ihr Leben, es war dunkel und feucht, und sie befand sich in einem Gewirr aus eingestürzten Fluren und klemmenden Türen. Sie merkte bald, dass der Erdrutsch den Korridor vollkommen blockierte. Hier kam sie nicht weiter.
Sie berührte die Wand, um sich zu orientieren, und erfasste
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