Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
immer die Chance verpasst herauszufinden, wie es funktioniert hatte.
    Er kam zu der Kammer, in der sie den Satrapen untergebracht hatten. Es war eines der schönsten Gemächer gewesen, das er jemals entdeckt hatte. Aber der Satrap und seine Gefährtin hatten sich darin benommen wie die Schweine. Cosgo verstand es offenbar wirklich nicht, sich um sich selbst zu kümmern. Reyn akzeptierte die Notwendigkeit von Dienern. Seine Familie hatte auch Leute eingestellt, die kochten, sauber machten und nähten. Aber ein Diener, der einem die Schuhe anzog oder das Haar kämmte? Was war das für ein Mann, der einen anderen dafür benötigte?
    Unter der Tür drang Wasser heraus. Reyn versuchte sie zu öffnen, aber etwas Schweres drückte von der anderen Seite dagegen. Vermutlich eine Wand aus Erde und Schlamm, dachte er grimmig. Reyn hämmerte gegen die Tür und schrie, bekam aber keine Antwort. Er lauschte dem Schweigen und versuchte, Trauer über die Art zu empfinden, wie sie ums Leben gekommen waren. Aber er konnte sich nur den Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes vorstellen, als er Malta beim Tanz angesehen hatte. Schon bei der bloßen Erinnerung verkrampften sich die Muskeln in Reyns Schultern. Der Schlamm und die Erde hatten dem Satrap einen schnelleren Tod beschert, als Reyn ihm bereitet hätte, falls er Malta noch einmal so angesehen hätte.
    Er machte für die Arbeiter ein Zeichen an die Tür, dass er den Raum aufgab. Sollten sie in den nächsten Tagen lieber die Lebenden retten. Die Bergung von Leichen konnte warten. Er drückte die Kreide an die Wand und ging weiter.
    Nach ein paar Schritten stolperte er über einen Körper. Es war eine kleine Gestalt, und der Körper war noch warm. Lebendig. »Malta?« Hoffnung keimte auf.
    »Nein. Selden«, antwortete ein klägliches Stimmchen.
    Reyn schloss den bebenden Jungen in die Arme. Selden zitterte vor Kälte. Reyn setzte sich auf den Boden, zog ihn auf den Schoß und schlang Arme und Beine des Jungen um sich. »Wo ist Malta? In der Nähe?«
    »Ich weiß es nicht.« Dem Jungen klapperten die Zähne, und er schüttelte sich heftig. »Sie ist hineingegangen. Ich hatte Angst. Dann war da dieser Erdstoß. Als sie nicht herausgekommen ist, bin ich ihr hinterhergeklettert.« Er spähte in der Dunkelheit hoch. »Bist du Reyn?«
    Reyn setzte die Geschichte Stück für Stück zusammen. Er gab dem Jungen Wasser und zündete eine Kerze an, damit er Mut fasste. In ihrem flackernden Licht wirkte Selden wie ein alter, grauhaariger Mann. Sein Gesicht war schmutzverkrustet, und Schlamm hatte seine Kleidung durchtränkt. Sein Haar war bis auf die Schädeldecke verdreckt. Er konnte Reyn nicht sagen, wo er auf seiner Suche überall hingegangen war. Nur dass er immer wieder nach Malta gerufen hatte und sie nicht fand und deshalb immer weiter lief. Insgeheim verwünschte Reyn sowohl Wilee, weil er Selden gezeigt hatte, wie man sich in die Stadt schleichen konnte, als auch sich selbst, weil er nicht dafür gesorgt hatte, diese verlassenen Tunnel besser gegen abenteuerlustige Jungen abzusichern. Zwei Punkte in Seldens Schilderung jedoch ängstigten Reyn besonders, auch wenn er sich das nicht erklären konnte. Malta war hierher gekommen und hatte absichtlich den Drachen aufgesucht. Warum? Das war schon allein unheilvoll genug, doch als Selden die Musik erwähnte, die Malta gehört hatte, biss sich Reyn auf die Lippen. Wie konnte sie sie hören? Sie war eine gebürtige Bingtownerin! Selbst von dem Regenwildvolk vernahmen nur wenige diese flüchtigen Töne. Und eben diejenigen wurden von den Tunneln fern gehalten. Deshalb hatte er seiner Mutter und seinem Bruder auch niemals verraten, dass er sie hören konnte. Denn wer die Musik hörte, ertrank irgendwann in Erinnerungen. Das sagten alle, die in der Stadt arbeiteten. Selbst sein Vater. Sein Vater hatte die Musik gehört und trotzdem in der Stadt gearbeitet. Bis zu dem Tag, als sie ihn gefunden hatten, wie er in einem Kreis aus kleinen schwarzen Steinwürfeln gesessen hatte. Er war in den Erinnerungen der Stadt ertrunken und hatte das Bewusstsein von seinem alten Leben verloren. Als sie ihn fanden, saß er im Dunkeln und stapelte die Steinwürfel aufeinander wie ein großes Baby, das mit Bauklötzen spielte.
    »Selden«, sagte Reyn leise. »Ich muss weitergehen. Ich kenne den Weg zu der Kammer, in der das Drachenweibchen begraben liegt. Ich glaube, dass Malta den Weg dorthin gefunden hat.« Er holte tief Luft. »Du musst dich jetzt entscheiden. Du

Weitere Kostenlose Bücher