Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
ans Licht gebracht. Doch vor dem zweiten Paneel runzelte er die Stirn. Er entzündete eine Kerze und überzeugte sich von dem, was er schon wusste. Menschliche Hände hatten den Mechanismus von der Erde befreit. Einige kleine Fußabdrücke waren in dem Licht der Kerze ganz deutlich zu sehen. Sie war hier gewesen.
»Malta!«, rief er, aber sie antwortete nicht.
Der Hexenholzstamm mitten im Raum hüllte sich in Schweigen. Reyn hätte gern erfahren, was das Drachenweibchen wusste, aber wenn er das Holz berührte, befand er sich wieder in ihrer Gewalt. Die Leine, mit der sie ihn gebunden hatte, war zerrissen. Schon bald würde die Erde über ihr zusammenbrechen, und dann war er für immer von ihr befreit. Sie konnte ihn nicht packen, wenn er nicht das Holz berührte. Und Maltas Verstand hatte sie nur durch den seinen erreichen können.
»Malta!«, rief er erneut, lauter diesmal. Früher einmal hätte seine Stimme in der gewaltigen Kammer widergehallt, doch jetzt schluckten Erde und Schlamm das Geräusch.
»Hast du sie gefunden?«, erkundigte sich Selden ängstlich.
»Noch nicht. Aber ich werde sie finden.«
»Das Wasser kommt. Es läuft unter der Wand hervor.« Die Stimme des Jungen klang furchtsam. »Es wird bald die Treppe hinunterlaufen.«
Die Erde mochte Druck ausüben, aber es war das Wasser, das die Stadt verzehrte. Mit einem wütenden Schrei stürmte Reyn zu dem Hexenholzstamm und presste die Hände darauf. »Wo ist sie?«, verlangte er zu wissen. »Wo ist sie?«
Das Drachenweibchen lachte. Ihr Lachen dröhnte in seinem Kopf und löste vertraute Schmerzen in ihm aus. Sie war wieder da, wieder in seinem Kopf. Was er getan hatte, machte ihn krank, aber er wusste, dass er keine Wahl hatte.
»Wo ist Malta?«
»Nicht hier.« Sie war unerträglich selbstzufrieden.
»Das weiß ich, verdammt! Wo ist sie? Ich weiß, dass du Kontakt zu ihr hast, ich weiß, dass du es weißt.«
Sie gewährte ihm einen Hauch von Malta, wie ein Stück Fleisch, das man einem Hund vor die Nase hält. Er nahm sie durch den Drachen wahr, spürte ihre Erschöpfung und merkte, wie schwer und schmerzhaft ihr Schlaf war.
»Die Stadt wird nicht mehr lange stehen. Sie wird zusammenbrechen. Wenn du mir nicht hilfst, sie zu finden und herauszuholen, wirst du sterben!«
»Wie aufgeregt du deshalb bist! Dennoch scheint es dir niemals etwas ausgemacht zu haben, dass dies auch mein Schicksal hätte sein sollen.«
»Das stimmt nicht. Verdammt, Drache, du weißt, dass es nicht stimmt. Dein Schicksal hat mich gequält, ich habe mein Volk angefleht und angebettelt, dir zu helfen. In meiner Jugend habe ich dich geradezu verehrt. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht zu dir gekommen bin. Ich habe erst versucht, dir zu entfliehen, als du dich gegen mich gestellt hast.«
»Trotzdem warst du niemals bereit, dich mir zu unterwerfen. Wie schade. Du hättest alle Geheimnisse dieser Stadt in einer einzigen Nacht erfahren können. So wie Malta es getan hat.«
Reyn blieb beinahe das Herz stehen. »Du hast sie ertränkt«, sagte er tonlos. »Du hast sie in den Erinnerungen der Stadt ertränkt.«
»Sie ist darin eingetaucht, und zwar höchst bereitwillig. Von dem Augenblick an, an dem sie diese Stadt betreten hat, war sie weit offener dafür als jeder andere, dem ich je begegnet bin. Sie ist getaucht und sie ist geschwommen. Und sie hat versucht, mich zu retten. Für dein Heil und das ihres Vaters. Du warst der Preis, den ich zahlen musste, Reyn. Ich sollte dich für immer in Frieden lassen, und dafür wollte sie mich befreien. Pech für dich, dass sie keinen Erfolg damit hatte.«
»Das Wasser strömt immer schneller, Reyn!« Die schrille Stimme des Jungen unterbrach den Dialog in Reyns Kopf. Er drehte sich zu dem Kind um. Die Kerze beleuchtete sein schmales, graues Gesicht. Er stand auf der Treppe direkt an der Tür. Das Wasser lief an seinen Füßen vorbei und rann lautlos über die breiten, flachen Stufen. Die Kerze des Jungen spiegelte sich darin mit einer beinahe unheimlichen Schönheit, wie der Tod, der in der Dunkelheit glimmt.
Reyn lächelte den Jungen an. »Es wird alles gut«, log er unverfroren. »Komm her zu mir, Selden. Wir müssen noch eine Sache erledigen, du und ich. Dann sind wir hier fertig.«
Er nahm die schmutzige Hand des Jungen in seine. Wo auch immer Malta in der Stadt schlief, es war ihr letzter Schlaf. Das Wasser verriet es ihm. Es würde noch viel schneller vorbei sein, als er befürchtet hatte.
Reyn kehrte dem
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