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Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten

Titel: Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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kannst hier auf die Arbeiter warten. Vielleicht kommen Malta und ich sogar zurück, bevor sie bei dir sind. Oder du kannst mit mir weitergehen und nach Malta suchen. Verstehst du, warum ich dich nicht sofort zur Oberfläche bringen kann?«
    Der Junge fuhr sich über das schmutzige Gesicht. »Weil sie vielleicht tot ist, bevor du zu ihr zurückkehren kannst.« Er seufzte. »Aus demselben Grund bin ich nicht zurückgegangen und habe nach Hilfe gesucht, als ich noch den Weg nach draußen wusste. Ich hatte Angst, dass sie zu spät kommen würde.«
    »Du bist ein tapferer Junge, Selden. Das heißt allerdings nicht, dass du sie überhaupt hättest hierher führen sollen. Aber du bist trotzdem tapfer.« Er stellte den Jungen auf die Füße, richtete sich dann selbst auf und nahm Seldens Hand. »Komm, suchen wir deine Schwester.«
    Der Junge hielt die Kerze fest, als hinge sein Leben davon ab. Er war tapfer, aber er war auch erschöpft. Eine Weile passte sich Reyn dem Tempo des Jungen an. Dann schwang er ihn trotz seiner Proteste auf den Rücken. Selden hielt die Kerze hoch, und Reyn strich mit der Kreide an der Wand entlang. Sie gingen weiter in die Dunkelheit hinein.
    Selbst das flackernde Licht der Kerze war nicht freundlich. Es zeigte Reyn, was er bisher verdrängt hatte. Seine Stadt war dem Untergang geweiht. Die Beben der letzten Nacht hatten ihr zu stark zugesetzt. Sie würde noch eine Weile bestehen, als getrennte Flügel und isolierte Kammern, aber schließlich würde alles zusammenbrechen. Die Erde hatte sie schon vor Jahren geschluckt. Jetzt würde sie sie verdauen. Sein Traum, die ganzen Bauwerke im Licht der Sonne zu sehen, nachdem sie ausgegraben waren, war ein Traum ohne Zukunft.
    Er ging entschlossen weiter und summte vor sich hin. Der Junge auf seinen Schultern schwieg. Hätte er nicht die Kerze festgehalten, wäre Reyn auf die Idee gekommen, dass er schlief. Sein Summen überdeckte die anderen Geräusche, die er nicht hören wollte. Das Knarren von überstrapaziertem Holz, das Tröpfeln des Wassers und die schwachen Echos von uralten Stimmen, die an einem längst verflossenen Tag redeten und lachten. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich davor zu schützen, zu empfänglich für sie zu sein. Als er heute durch die Stadt ging und ihr Dahinscheiden betrauerte, bedrängten ihn diese Erinnerungen und versuchten, sich in ihm einzubrennen. »Erinnere dich an uns! Erinnere dich an uns!«, schienen sie zu flehen. Wenn er nicht an Malta hätte denken müssen, hätte er ihnen vielleicht nachgegeben. Vor Malta war die Stadt sein Leben gewesen. Er hätte nicht einmal daran denken dürfen, dass sie starb. Aber ich habe Malta, versicherte er sich krampfhaft. Er hatte sie und würde sie nicht aufgeben, nicht für die Stadt und nicht für den Drachen. Wenn sonst alles unterging, was er liebte, sie würde er retten.
    Die Tür zur Kammer des Gekrönten Hahns stand offen. Nein. Ein genauerer Blick sagte ihm, dass sie aus ihrem Rahmen gesprengt worden war. Er warf einen flüchtigen Blick auf den bunten Hahn, der das Symbol seiner Familie geworden war, und hob Selden von seinem Rücken auf den Boden. »Warte hier. Diese Kammer ist gefährlich.«
    Selden sah ihn entsetzt an. Es war das erste Mal, das Reyn laut von der Gefahr gesprochen hatte. »Wird sie auf dich fallen?«, fragte er besorgt.
    »Sie hat mich schon vor langer Zeit unter sich begraben«, erwiderte Reyn. »Bleib hier stehen und halt die Kerze.«
    Wenn Malta noch am Leben und bei Bewusstsein war, hätte sie die Stimmen gehört und gerufen. Also musste er nach ihrem Körper suchen und hoffen, dass noch ein Funken Leben in ihr war. Er wusste, dass sie hier gewesen war. Ohne viel Hoffnung berührte er den Streifen Jidzin neben dem Eingang. Ein schwacher Glanz, der so gut wie gar nichts erhellte, leuchtete unter seinen Fingern auf. Reyn wartete, bis der Schein, zäh wie Sirup, den ganzen Raum durchwandert hatte.
    Die Verheerung war ungeheuerlich. Die gewölbte Decke hatte an zwei Stellen nachgegeben, und feuchte Erde war auf den Boden gefallen. Wurzeln hingen neben den baumelnden Resten des Kristalldachs herunter. Von Malta war nichts zu sehen. Er fuhr mit der Hand weiter über den Lichtstreifen, als er einen kurzen Rundgang durch den Saal unternahm. Als er zu dem ersten gefallenen Paneel mit dem dahinter liegenden Mechanismus kam, fühlte er sich elend. Hier war das, was er gesucht hatte. Er hatte so lange danach gesucht, und jetzt hatte ein Erdstoß es zufällig

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