Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
nicht nur an seine Worte, sondern auch an die Betonung. Sie waren in sie eingesickert wie Honig in Brot. Sie lächelte, als sie die Symptome erkannte. Er hatte um sie geworben und sie für sich gewonnen. Sie versuchte nicht einmal mehr, seine Worte nach Ungenauigkeiten zu durchforsten oder in seinem Herzen nach der Wahrheit zu suchen. Es war nicht mehr wichtig. Er hielt ihr ja auch nicht ihre Fehler vor, warum sollte sie also die seinen auflisten?
Jetzt ankerte sie in diesem kläglichen Abklatsch eines Hafens. Warum sich jemand freiwillig hier niederließ, konnte sie sich nicht vorstellen. Am anderen Ende der Pier verrotteten die Reste eines Schiffs. Sie versuchte sich an den Namen zu erinnern. Askew. So hieß der Ort. Nun, der Name passte jedenfalls zu der Stadt. Die eingefallene Pier, die windschiefen Hütten, alles wirkte leicht verschoben. Aber es gab auch Anzeichen von frischem Wachstum. Die Bürgersteige vor der Straße bestanden aus neuem, gelbem Holz. Einige der baufälligen Häuser waren mit viel guten Absichten und ein wenig Farbe verziert worden. Jemand hatte einige Baumreihen als Windschutz gepflanzt.
Dahinter standen junge Obstbäume in einer Reihe. Ein Schäferjunge hütete eine Ziegenherde in sicherer Entfernung von der zarten Rinde der Bäume. Und zwischen den kleinen Booten lag ein größeres Schiff an der Pier. Ihr Namensschild verkündete stolz, dass es sich um die Fortune handelte. Die Rabenflagge flatterte kühn an ihrem Mast. Selbst auf diese Entfernung sah Viviace das Messing in der Sonne blitzen. Die ganze Siedlung machte auf sie den Eindruck, als könnte sie sich bald mausern und recht ansehnlich werden.
Ihre Neugier stieg, als eine Gruppe von Männern das größte Gebäude des Dorfes verließ und zur Pier kam. Kennit befand sich gewiss unter ihnen. Kurz darauf entdeckte sie ihn an der Spitze der Menschengruppe. Seine Anhänger schritten neben oder hinter ihm her, je nach ihrem sozialen Status. Sorcor ging neben ihm. Etta folgte ihm wie ein Schatten mit Wintrow an der Seite. Eine Weile blieben sie auf der Pier stehen. Schließlich verabschiedeten sie ihren Kapitän mit vielen Verbeugungen. Als er und seine Leute die Leiter von der Pier in die Gig hinunterstiegen, die dort festgebunden war, riefen ihm die Leute Abschiedsgrüße zu. So war es bisher in jeder Stadt gewesen, in der sie auf ihrer Rundfahrt Anker geworfen hatten. Diese Menschen liebten ihren Kapitän.
Viviace beobachtete, wie die Gig über das ruhige, glitzernde Wasser des Hafens glitt. Kennit hatte sich für diesen Besuch sehr sorgfältig gekleidet. Die schwarzen Federn an seinem Hut wippten in der leichten Brise. Er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, und hob grüßend die Hand. Die Sonne blitzte auf den silbernen Knöpfen am Ärmel seiner Jacke. Er sah wirklich bis ins kleinste Detail wie ein wohlhabender Pirat aus. Mehr noch, er thronte fast wie ein König im Heck des Bootes.
»Sie behandeln ihn auch schon so«, hatte Wintrow ihr gebeichtet, als er ihr von ihrem letzten Besuch berichtet hatte. »Sie überreichen ihm seinen Anteil ihrer Beute ohne das leiseste Murren. Und sie gewähren ihm nicht nur das Recht, einen Teil ihre Profite einzustreichen: Sie tragen ihm sogar ihre eigenen Streitigkeiten vor. Er hat über alles zu Gericht gesessen, vom Hühnerdieb stahl bis zur Untreue unter Eheleuten. Er hat Pläne für die Verteidigung der Stadt gezeichnet und ordnet an, was sie bauen und was sie abreißen müssen.«
»Er ist ein sehr kluger Mann. Es überrascht mich nicht, dass sie auf seine Entscheidungen warten.«
Wintrow schnaubte verächtlich. »Klug? Nur insofern, als es seine eigene Beliebtheit vergrößert. Ich habe hinter ihm gestanden und zugehört, wie sie ihre Beschwerden vorgetragen haben. Er lauscht ihnen, runzelt die Stirn und stellt eine Menge Fragen. Aber in jedem Fall entscheidet er im Sinne der öffentlichen Meinung, selbst wenn das ganz eindeutig nicht gerecht ist. Er urteilt nicht, Viviace. Er wertet einfach nur ihre Meinungen aus und sorgt dafür, dass sie sich bestätigt fühlen. Nachdem er >Gerechtigkeit< geübt hat, schlendert er durch das Dorf und sieht sich alles an. >Ihr braucht einen Brunnen, für besseres Wasser.< erklärt er. Oder: >Reißt das Haus da ab, bevor es abbrennt und den Rest der Stadt mit sich zieht. Repariert euren Hafen. Diese Witwe braucht ein neues Dach auf ihrem Häuschen. Sorgt dafür, dass sie es bekommt.< Dann verteilt er Münzen, um für das zu zahlen, was er vorschlägt, als
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