Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
er jetzt die Tür öffnete, fürchtete er sich beinahe vor der eigentlich wundervollen Aufgabe, sie so wegzuräumen, dass er noch genug Platz hatte. Vielleicht sollte er lieber erst schlafen und sich morgen darum kümmern, wenn die beiden Schiffe nach Divvytown unterwegs waren.
Doch als er die Kabine betrat, empfingen ihn goldenes Lampenlicht und der Duft von Räucherstäbchen. Nein, nicht schon wieder! Kannte die Lust dieser Frau denn keine Grenzen? Er erwartete, dass sie sich auf seinem Bett drapiert hatte. Stattdessen saß sie auf einem der beiden Stühle, die sie dicht nebeneinander gestellt hatte. Ein Lichtkegel beleuchtete sie und das offene Buch in ihrem Schoß. Sie trug nur ein Nachthemd, aber es war eher sittsam als verführerisch. Sie sah fast aus wie eine höhere Tochter.
Verärgert stellte Kennit fest, dass sie seine Schätze bereits weggeräumt hatte. Erst wollte er wütend auffahren. Wie konnte sie es wagen, seine Dinge zu berühren? Doch dann übermannte ihn Resignation, und schließlich empfand er sogar Erleichterung. Wenigstens war jetzt alles aus dem Weg. Nichts stand mehr zwischen ihm und seinem Bett. Er humpelte hinüber und setzte sich auf den Rand. Die Lederschale rieb entsetzlich gegen seinen Stumpf. Sie musste neu gepolstert werden.
»Ich möchte Euch etwas zeigen, das ich gelernt habe«, sagte Etta ruhig.
Kennit stieß gereizt die Luft aus. Dachte diese Frau denn nur an ihre eigenen Freuden? »Etta, ich hatte einen langen Tag. Hilf mir aus dem Stiefel!«
Sie gehorchte sofort. Während er seine Gewänder auszog, schüttelte sie sie aus, faltete sie und legte sie dann in seine Kleidertruhe. Als er schließlich das Holzbein abband, deutete er auf die scheuernde Stelle. »Kannst du das Ding so polstern, dass es angenehm zu tragen ist?«
Sie hob die Schale hoch und musterte sie von allen Seiten. »Es wäre einfacher, wenn Ihr nicht so ein aktiver Mann wärt. Ich werde beim nächsten Mal Seide nehmen. Das Material ist zwar weich, aber trotzdem haltbar.«
»Gut. Ich brauche sie morgen früh.« Er sprang auf sein Bein, zog das Bettzeug zurück und setzte sich auf die Laken. Sie waren kühl und sauber, als er sich zurücklehnte. Das Kissen duftete nach Lavendel. Er schloss die Augen.
Ihre leise, klare Stimme drängte sich in seine Gedanken.
Unsere Seelen liebten sich gar tausend Mal.
Auf Wegen, die wir jetzt nicht mehr erinnern, wandelten wir in früheren Leben.
Ich kenne dich zu gut und liebe dich zu sehr, als dass dies in nur wenigen Jahren gewachsen sein könnte.
Wie ein Fluss sich sein Bett durch ein Tal gräbt, so hat deine Seele mit ihrer Berührung die meine gezeichnet.
In anderen Körpern haben wir die Vollständigkeit erfahren, wie noch nie eine...
Er unterbrach müde ihre Rezitation. »Mir hat die Syrenische Schule der Poesie noch nie sonderlich gefallen. Sie ist mir einfach zu plump. Poesie sollte nicht so burlesk sein. Wenn du etwas auswendig lernen willst, dann such etwas bei Eupille oder Vergihe.«
Er kuschelte sich tiefer in die Decke und knurrte zufrieden, als er sich dem Schlaf hingab.
»Ich habe es nicht auswendig gelernt. Ich habe es gelesen. Ich kann lesen, Kennit. Ich kann lesen!«
Sie erwartete offensichtlich, dass er überrascht war. Doch dafür war er einfach zu müde. »Wie schön. Ich bin froh, dass es Wintrow gelungen ist, es dir beizubringen. Jetzt wollen wir herausfinden, ob er dir auch zeigen kann, was es wert ist, gelesen zu werden.«
Sie legte das Buch beiseite und blies die Lampe aus. Im Raum wurde es schlagartig dunkel. Er hörte das leise Klatschen ihrer nackten Sohlen, als sie zum Bett kam und neben ihm unter die Decke kroch. Es wurde Zeit, dass sie woanders schlief. Vielleicht konnte sie eine Hängematte in einer Ecke des Zimmers aufhängen.
»Wintrow sagt, ich brauche seine Hilfe nicht mehr. Da ich jetzt alle Buchstaben kann, soll ich einfach nur jedes Manuskript und jede Schriftrolle erforschen, die mir in die Finger fallen. Nur durch viel Übung lese und schreibe ich schneller und besser, meint er. Aber das kann ich allein.«
Kennit öffnete mühsam die Augen. So funktionierte das nicht. Mürrisch rollte er sich herum und sah sie an. »Aber das willst du doch sicher nicht. Du hast bestimmt die Stunden genossen, die du in seiner Gesellschaft zugebracht hast. Ich weiß, wie sehr es ihm gefallen hat, dich zu unterweisen. Er hat mir gegenüber zugegeben, wie viel Spaß ihm deine Gesellschaft macht.«
Er schaffte es, leise und freundlich zu
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