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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Fluss hinauf… Sie erkannte die Probe, auf die sie das Schiff mit seinen Worten stellte. Und plötzlich war sie froh, dass Brashen der Kapitän war. Das war eine Entscheidung, die sie lieber nicht treffen wollte.
    Es war jetzt so dunkel, dass sie kaum noch Brashens Profil erkennen konnte. Sie sah, wie sich seine Schultern hoben, als er tief Luft holte. »Würdest du uns dorthin bringen, Paragon?«
    »Das werde ich.«
    Sie arbeiteten im Dunkeln, ohne Laternen. Sie nahmen die Segel aus dem Gei und lichteten den Anker. Es gefiel Paragon, sich vorzustellen, wie sie im Dunkeln herumliefen, genauso blind wie er. Sie bedienten beinahe lautlos die Ankerwinde.
    Das einzige Geräusch waren die Zahnräder und das leise Rasseln der Kette. Paragon öffnete weit seine Sinne für die Nacht.
    »Steuerbord, nur ein kleines bisschen«, sagte er leise, als sie seine Segel trimmten und der Wind ihn voranschob. Er hörte, wie das Kommando im Flüsterton über das Deck weitergegeben wurde.
    Brashen stand am Ruder. Es war gut, seine sicheren Hände dort zu wissen. Und noch besser war es, derjenige zu sein, der entschied, wohin er fuhr, und dafür sorgte, dass die anderen seinen Befehlen gehorchten. Sollten sie doch merken, wie es war, sein Leben in die Hände von jemandem zu legen, den man fürchtete. Denn sie alle fürchteten ihn, selbst Lavoy. Der Maat redete zwar über Freundschaft, aber tief in seinem Innersten fürchtete der Mann das Schiff mehr als jeder andere Matrose an Bord.
    Und sie tun gut daran, dachte Paragon zufrieden. Wenn sie seine wahre Natur kennen würden, würden sie sich vermutlich vor Entsetzen die Hose nass machen. Sie würden sich schreiend ins Meer stürzen und das für ein gnädiges Ende halten.
    Paragon streckte die Arme hoch und spreizte die Finger. Es war ein armseliger Ersatz, dieser feuchte Wind, der an seinen Händen vorbeiströmte, während seine Segel ihn zur Mündung des Flusses trieben. Aber es genügte, um seine Seele am Leben zu erhalten. Er hatte zwar keine Augen, und er besaß keine Flügel, aber seine Seele war immer noch die eines Drachen.
    »Das ist wunderschön«, sagte Amber.
    Er zuckte zusammen. Obwohl sie schon so lange an Bord war, gab es immer noch Zeiten, in denen sie beinahe durchscheinend für ihn war. Sie war die Einzige, deren Furcht er nicht wahrnehmen konnte. Manchmal erkannte er ihre Gefühle, niemals jedoch ihre Gedanken. Und wenn er einen Hauch ihrer Gefühle auffing, dann vermutlich, weil sie es so wollte. Deshalb konnte sie ihn auch häufiger überrumpeln, als es den anderen gelang. Und sie war die Einzige, die ihn möglicherweise anlügen konnte. Log sie jetzt vielleicht auch?
    »Was ist wunderschön?«, fragte er leise. Sie antwortete nicht.
    Paragon konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, die vor ihm lag. Brashen wollte, dass er sie so leise wie möglich den Fluss hinaufbrachte. Er wollte, dass Divvytown morgen früh aufwachte und sie sah, wie sie im Hafen ankerten. Diese Vorstellung gefiel dem Schiff. Sollten sie doch glotzen und schreien, wenn sie begriffen, dass er von den Toten auferstanden war.
    Falls es überhaupt noch jemanden gab, der sich an ihn erinnerte.
    »Die Nacht. Die Nacht ist wunderschön«, meinte Amber schließlich. »Und wir sind wunderschön in der Nacht. Irgendwo über uns scheint der Mond. Dadurch schimmert der Nebel silbrig. Hier und da kann ich ein bisschen von dir sehen. Eine Reihe von silbernen Tropfen, die an einem straffen Tau hängen. Oder der Nebel reißt kurz auf, und der Mond beleuchtet den Fluss. Du bewegst dich so geschmeidig und wundervoll.
    Hör nur zu. Das Wasser an deinem Bug schnurrt wie eine Katze, und der Wind treibt uns leise flüsternd voran. Der Fluss ist hier so schmal, dass wir uns wie ein Messer durch den Wald schneiden und die Bäume teilen, damit sie uns vorbeilassen.
    Derselbe Wind, der uns antreibt, lässt die Blätter der Bäume rascheln. Es ist schon lange her, dass ich den Wind in den Bäumen gehört und die Erde gerochen habe. Mir kommt es so vor, als befände ich mich in einem silbernen Traum auf einem Zauberschiff.«
    Paragon musste unwillkürlich lächeln. »Nun, ich bin ein Zauberschiff.«
    »Ich weiß. Oh, ich weiß sehr genau, was für ein Wunder du bist. Wenn wir uns in einer solchen Nacht so rasch und leise in der Dunkelheit fortbewegen, habe ich fast das Gefühl, als könntest du deine Schwingen ausbreiten und uns direkt in den Himmel tragen. Empfindest du das nicht so, Paragon?«
    Natürlich tat er das.

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