Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
rasch gelöscht wurden. Eine zweite Salve folgte der ersten. Diesmal fing ein Segel auf einem der Schiffe Feuer. Flammen von den geteerten, brennenden Schäften der Pfeile zuckten rasch die Leinwand hinauf bis zu ihr. Die Drachenkönigin schlug hastig mit den Flügeln, um an Höhe zu gewinnen. Als sie an dem Schiff vorbeiflog, fachte der Luftzug ihrer Flügel die Flammen noch mehr an. Auf dem Deck des brennenden Schiffes schrieen die Männer erstaunt auf. Sie deuteten an dem brennenden Segel vorbei auf den Umriss des Drachen über ihrem Schiff.
Tintaglia hörte erneut das Surren eines Bogens, und ein Pfeil sauste an ihr vorbei. Sie wich dem irregeleiteten Geschoss aus, aber dann fegten andere auf sie zu. Einer dieser winzigen Pfeile traf sie tatsächlich und prallte wirkungslos von den dichten Schuppen ihres Bauches ab. Sie war erstaunt und beleidigt.
Diese Würmer wagten es tatsächlich, sie anzugreifen? Menschen versuchten, sich dem Willen eines Drachen zu widersetzen? Wut flammte in ihr auf. Wirklich, schon viel zu lange waren keine Drachen mehr über den Himmel geflogen. Wie konnten die Menschen es wagen, anzunehmen, sie seien die Herren dieser Welt? Sie würde sie jetzt lehren, wie närrisch diese Vorstellung war. Tintaglia wählte das größte Schiff aus, faltete ihre Flügel zusammen und stieß darauf hinunter.
Sie hatte noch nie gegen ein Schiff gekämpft. In all ihren Drachenerinnnerungen fand sich nur wenig Kunde von Menschen, die es gewagt hatten, sich einem Drachen zu widersetzen. Sie stellte schnell fest, dass es keine gute Idee war, die Taue mit ihren Krallen zu packen. Die schwankenden Schiffe boten ihrem Angriff zu wenig Widerstand. Sie schwankten von ihr weg, und Leinwand und Taue wickelten sich um die Klauen ihrer Füße. Mit einem heftigen Ruck befreite sie sich von dem Schiff und schlug mit den Flügeln, um wieder an Höhe zu gewinnen. Hoch über dem Hafen entledigte sie sich der Leinen, Spieren und des Segeltuchs und sah befriedigt, wie der Abfall mitten auf eine Galeone stürzte und das Schiff versenkte.
Bei ihrem zweiten Angriff suchte sie sich einen Zweimaster als Opfer aus. Die Männer an Bord sahen, wie sie auf sie zufegte, und schickten ihr einen gewaltigen Pfeilhagel entgegen.
Die Geschosse prallten von ihr ab und fielen auf das Deck zurück. Im Vorüberfliegen kappte sie mit einem einzigen Hieb ihres Schwanzes beide Masten. Sie stürzten zusammen mit den Segeln und der Takelage herunter, doch Tintaglia entging ihnen geschickt. Knapp fegte sie über eine Galeere hinweg. Die Matrosen sprangen an beiden Seiten über Bord. Die Drachenkönigin brüllte vor Freude. So rasch lernten sie also, sie zu fürchten!
Der Luftzug ihrer Schwingen ließ kleinere Boote gefährlich schwanken. Ein Chor aus ängstlichen Schreien begleitete ihren wütenden Flug. Sie stieg steil hinauf in den Himmel und schwang sich dann in einem weiten Bogen über den Hafen zurück. Als die Wintersonne am Horizont aufging, sah sie kurz das Spiegelbild ihres strahlenden Körpers im Wasser unter sich. Mit ihren scharfen Augen suchte sie die Stadt ab. Die Feuer wurden nicht gelöscht, und selbst die Kämpfe waren eingestellt worden. Alle starrten nur zu ihr hinauf, völlig regungslos, während sie wie gelähmt ihren Zorn beobachteten.
Der Geruch der Angst dieser Menschen stieg ihr in die Nüstern, und sie berauschte sich an ihrer eigenen Macht. Tintaglia holte tief Luft und brüllte. Mit dem Laut stieß sie eine Wolke milchigen Giftes aus, die in dem leichten Wind davontrieb.
Einige Sekunden verstrichen, bis die Drachenkönigin befriedigt die gequälten Schreie hörte. In den Schiffen unter ihr fraßen sich die Tropfen des Giftes durch die Haut der Menschen tief in die Körper hinein, durchdrangen Knochen und Eingeweide, bevor sie auf der anderen Seite der zuckenden Körper wieder austraten. Dieses Kampfgift, das in den ätzenden Gewässern ihres Geburtsorts entstanden war, war so stark, dass es selbst die gepanzerte Schicht eines erwachsenen Drachen durchdringen konnte. Das wässrige Fleisch der Menschen passierte es vollkommen ungehindert, und es arbeitete sich zischend durch das Holz ihrer Schiffe. Selbst der winzigste Tropfen des Giftes schlug Wunden, die nicht mehr heilen konnten. Das war die Rache an denen, die es gewagt hatten, sie mit ihren Pfeilen zu beschießen.
Dann drang durch den Tumult und die Schreie, durch das Knistern der Flammen und das Heulen des Windes eine einzelne, klare Stimme und erregte ihre
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