Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Aufmerksamkeit. Tintaglia schwenkte den Kopf, um diese Stimme von allen anderen zu trennen. Es war eine Jungenstimme, und sie sang. Sie klang hoch, aber nicht schrill. Süß sang sie die wahren, alten Worte.
    »Tintaglia! Tintaglia! Blaue Königin des Windes und des Himmels! Tintaglia, du Glorreiche, schrecklich in deiner Schönheit, hinreißend in deinem Zorn! Tintaglia, Tintaglia!«
    Ihre scharfen Augen erspähten die kleine Gestalt. Sie stand allein auf einem kleinen Hügel aus Abfall, ohne darauf zu achten, dass ihre Silhouette ein perfektes Ziel für Bogenschützen bot. Der Junge stand hoch aufgerichtet da, breitete freudig die Arme aus und sang in der alten Zunge der Altvorderen zu ihr.
    Seine Schmeicheleien gefielen ihr, und er wob mit natürlicher Zartheit ihren Namen in das Lied.
    Sie ließ sich vom Wind treiben und schwenkte dann in eleganten Spiralen nach unten, während sie sich geschickt der Luftströme bediente. Sie ging immer tiefer, um seine bewundernden Worte zu hören. Die angeschlagenen Schiffe flohen aus dem Hafen. Es kümmerte sie nicht länger. Sollten sie doch entkommen.
    Die Stadt war nicht besonders gut darauf vorbereitet, einen Drachen willkommen zu heißen. Trotzdem, nicht allzu weit von ihrem charmanten Minnesänger fand sie eine Stelle, die als behelfsmäßiger Landeplatz dienen mochte. Als sie mit den Flügeln schlug, um ihre Landung abzubremsen, huschten viele Menschen davon und suchten Schutz hinter baufälligen Gebäuden. Sie achtete nicht auf sie. Sobald sie auf dem Boden gelandet war, faltete sie ihre großen Schwingen. Ihr Kopf schwang zum Rhythmus der Worte des Minnesängers.
    »Tintaglia, Tintaglia, die Mond und Sonne an Glanz übertrifft, Tintaglia, blauer als der Regenbogen, heller strahlend als Silber. Tintaglia, du leichtschwingige, scharfkrallige, die du den Unwürdigen deinen Todesodem entgegenhauchst. Tintaglia, Tintaglia.«
    Ihre Augen rotierten vor Vergnügen. Wie lange war es her, dass das Loblied auf einen Drachen gesungen worden war? Sie betrachtete den Jungen und bemerkte, dass er vollkommen von ihr verzückt war. Seine Augen glänzten, und in ihnen spiegelte sich ihre Schönheit wider. Sie erinnerte sich, dass sie den da schon einmal zuvor berührt hatte. Er war bei Reyn gewesen, als sie ihn gerettet hatte. Das erklärte dieses Rätsel. Es kam vor, wenn auch selten, dass ein Sterblicher durch die Berührung eines Drachen in Verzückung versetzt wurde. Besonders junge Menschen waren für eine solche Verbindung empfänglich. Sie sah das kleine Geschöpf liebevoll an. Was für ein Schmetterling, verurteilt zu einer solch kurzen Lebensspanne, und doch stand er vor ihr, und seine Anbetung kannte keine Furcht.
    Sie entfaltete weit ihre Schwingen, um ihm ihre Wertschätzung zu zeigen. Es war die höchste Anerkennung, die ein Drache einem Sterblichen gegenüber zeigte, auch wenn dieser jugendliche Sänger sie wohl schwerlich verdiente. So süß sein Lied auch sein mochte, er war alles andere als ein ausgebildeter Minnesänger. Sie ließ ihre Flügel erzittern, sodass sie im Sonnenlicht schillerten. Der Junge verstummte ehrfürchtig.
    Amüsiert bemerkte sie die anderen Menschen. Sie hielten sich im Hintergrund und betrachteten sie aus ihren Verstecken hinter Bäumen und Wänden. Sie umklammerten ihre Waffen und zitterten vor Angst. Tintaglia bog ihren langen Hals und putzte sich, damit sie das mächtige Spiel ihrer Muskeln sehen konnten. Sie wetzte ihre Krallen an den Steinen des Pflasters und hinterließ tiefe Spuren. Beiläufig senkte sie den Kopf und betrachtete ihren kleinen Bewunderer. Absichtlich ließ sie die Augen rotieren und bannte seine Seele mit ihrem Blick, bis sie fühlte, wie sein Herz in seiner Brust schmerzhaft schlug. Als sie ihn losließ, rang er zwar keuchend nach Luft, hielt sich jedoch irgendwie auf den Beinen. Er mochte klein sein, aber er war dennoch würdig, das Drachenlied zu singen.
    »Nun, Minnesänger«, schnurrte sie amüsiert. »Möchtest du einen Segen für dein Lied?«
    »Ich singe nur aus reiner Freude über deine Existenz«, antwortete er kühn.
    »Das ist gut«, erwiderte sie. Die anderen Menschen, die sich hinter Selden versteckt hatten, kamen langsam näher, die Waffen stoßbereit. Narren. Sie schlug mit dem Schwanz auf die Pflastersteine, woraufhin die Menschen sofort zurück in Deckung sprangen. Sie lachte laut. Doch da tauchte noch jemand auf, der keine Angst vor ihr hatte. Er baute sich kühn vor ihr auf. Reyn hielt ein Schwert in

Weitere Kostenlose Bücher