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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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schon längst tot, und es war sowieso zu spät, sie zu retten. Träge ließ sie ihren Geist nach ihnen tasten.
    Verärgert musste sie feststellen, dass sie beide noch lebten, wenngleich ihre Gedanken nur noch schwach wie das Summen eines Moskitos zu ihr drangen.
    Sie hob seufzend den Kopf und stand schließlich auf. Ich werde das Männchen retten, beschloss sie nach kurzer Debatte mit sich selbst. Von ihm wusste sie wenigstens, wo es sich genau aufhielt. Das Weibchen war irgendwo ins Wasser gefallen und konnte mittlerweile überall sein.
    Tintaglia schritt zum Rand des Kliffs und hob mit einem mächtigen Flügelschlag ab.
    »Ich bin so hungrig.« Selden zitterte. Er presste sich dichter an Reyn und suchte seine Körperwärme, obwohl der Regenwildmann selbst rasch auskühlte. Reyn konnte sich nicht einmal aufraffen, dem Jungen zu antworten. Selden und er lagen nebeneinander auf einer Matte aus Zweigen, die allmählich im immer höher steigenden Schlamm versank. Wenn sie ganz untergegangen war, würde auch diese letzte Hoffnung versunken sein. Der einzige Ausweg aus der Kammer befand sich hoch über ihren Köpfen. Sie hatten versucht, aus dem Schutt eine Plattform zu bauen, aber ebenso schnell, wie sie Erde und Zweige aufschichteten, verschluckte der Schlamm sie wieder.
    Reyn wusste, dass sie hier sterben würden, und da jammerte der Junge, weil er hungrig war!
    Er hätte Lust gehabt, ihn zu packen und zu schütteln, doch stattdessen schlang er den Arm um Selden und sagte tröstend:
    »Jemand muss den Drachen gesehen haben. Es wird meiner Mutter und meinem Bruder zu Ohren kommen, und ihnen wird klar sein, wo er hergekommen ist. Dann schicken sie Hilfe.«
    Insgeheim bezweifelte er seine Worte. »Ruh dich ein bisschen aus.«
    »Ich bin so hungrig«, wiederholte Selden hoffnungslos und seufzte dann. »Irgendwie war es die Sache aber wert. Ich durfte miterleben, wie ein Drache aufgestiegen ist.« Er schmiegte sein Gesicht an Reyns Brust und schwieg. Reyn schloss die Augen.
    Konnte es so einfach sein? Konnten sie einfach einschlafen und sterben? Er versuchte an etwas zu denken, das wichtig genug war, dass es sich dafür zu kämpfen lohnte. Malta. Aber Malta war vermutlich längst tot, lag irgendwo in der verschütteten Stadt begraben. Die Stadt selbst war das Einzige, was ihm etwas bedeutet hatte, bevor er Malta kennen lernte. Und jetzt lag der Wohnsitz der Altvorderen in Ruinen um ihn herum. Er würde die Geheimnisse der Stadt niemals enthüllen. Vielleicht kam er dem ja am nächsten, wenn er starb und selbst zu einem ihrer Geheimnisse wurde. Sein Gefühl jedoch spiegelte Seldens Worte wider. Wenigstens hatte er den Drachen befreit. Tintaglia war aufgestiegen und in die Freiheit geflogen. Das war schon etwas, aber es genügte nicht, um weiterzuleben. Es war allerhöchstens Grund genug, zufrieden zu sterben. Er hatte sie gerettet.
    Reyn spürte ein weiteres kleines Beben. Ihm folgte ein Platschen, als lockere Erde von der Öffnung im Dach in den Schlamm stürzte. Vielleicht würde bald die ganze Decke zusammenbrechen. Wenigstens bescherte ihnen das ein schnelles, gnädiges Ende.
    Kühle Luft wehte an seinem Gesicht vorbei und trug einen beißenden Geruch zu ihnen. Als Reyn die Augen aufschlug, sah er Tintaglias Schädel, der wie ein Pferdekopf geformt war und den sie von oben in die Kammer streckte. »Noch am Leben?«, begrüßte sie ihn.
    »Du bist zurückgekommen?« Er mochte es nicht glauben.
    Die Drachenkönigin antwortete nicht. Sie hatte ihren Kopf aus der Lücke gezogen und verbreiterte mit mächtigen Hieben ihrer Klauen den Rand der Öffnung. Erde, Steine, Schmutz und Stücke der Kuppel prasselten in den Raum hinab. Selden wachte mit einem Schrei auf und presste sich an Reyn. »Schon gut, es ist schon gut. Ich glaube, sie versucht uns zu retten.« Reyn versuchte, den Jungen zu beruhigen, während er ihn gleichzeitig vor den herabfallenden Trümmern schützte.
    Erde und Steine regneten herunter, und das Loch über ihnen wurde immer größer, während mehr Licht in die Kammer fiel.
    »Klettert hieran hoch«, befahl Tintaglia plötzlich. Einen Augenblick später schob sie den Kopf durch die Öffnung. Zwischen den Kiefern hielt sie einen gewaltigen Baumstamm. Ihr Atem drang heiß in die kühle Kammer, und der intensive Gestank nach Reptil war überwältigend. Reyn kratzte seine letzte Kraft zusammen, stand auf und hob Selden hoch, damit dieser auf den Stamm krabbeln konnte. Er selbst hielt sich an dem anderen Ende fest.

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