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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Kaum hatte er den Stamm gepackt, hob sie die beiden hoch. In der Öffnung blieben sie einen Moment stecken, aber Tintaglia befreite den Stamm mit einem mächtigen Ruck, ohne sich darum zu kümmern, wie schwach sich die beiden Menschen daran festklammerten.
    Einen Augenblick später hatte sie sie auf moosiger Erde hinuntergelassen. Sie ließen sich auf einen Flecken Land sinken, der sich mitten in dem sumpfigen Gebiet befand. Die schon seit Urzeiten versunkene Kuppel befand sich unter ihnen. Selden stolperte von dem Baumstamm zurück und brach vor Erleichterung weinend zusammen. Reyn schwankte, aber er hielt sich wacker auf den Beinen. »Danke«, stieß er hervor.
    »Du bist nicht verpflichtet, mir zu danken. Ich habe nur getan, was ich gesagt habe.« Sie blähte die Nüstern, und ein warmer Atemstoß wärmte ihn kurz. »Ihr werdet leben?« Es war ebenso eine Frage wie eine Feststellung.
    Reyns Beine zitterten, und er fiel auf die Knie. »Wenn wir bald nach Trehaug zurückkommen, dann schon. Wir brauchen Nahrung. Und Wärme.«
    »Ich denke, ich könnte Euch dorthin bringen«, willigte sie widerstrebend ein.
    »Sa sei Dank.« Es war das innigste Gebet, das Reyn jemals ausgestoßen hatte. Er raffte sich auf und schwankte zu Selden.
    Dann beugte er sich über den Jungen und wollte ihn hochheben, aber dafür war er nicht kräftig genug. Es gelang ihm nur, Selden aufzurichten.
    »Ich bin vollkommen erschöpft«, sagte Reyn. »Du wirst dich hinhocken müssen, damit wir auf deinen Rücken klettern können.«
    Die silbernen Augen des Drachen wirbelten missbilligend.
    »Hinhocken?«, wollte sie wissen. »Ihr? Auf meinen Rücken?
    Das glaube ich kaum, Menschlein.«
    »Aber… du hast doch gesagt, dass du uns nach Trehaug bringen willst.«
    »Das werde ich auch. Aber keine Kreatur wird mich jemals besteigen, am wenigsten ein Mensch. Ich werde euch in meinen Klauen tragen. Stellt euch nebeneinander vor mir auf. Ich packe euch und bringe euch nach Hause.«
    Reyn sah zweifelnd auf ihre geschuppten Vorderbeine. Ihre Klauen glänzten silberblau und scharf. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie sie fest genug zusammendrücken konnte, ohne sie dabei zu verletzen. Als er Selden ansah, erkannte er seine eigenen Zweifel im Blick des Jungen. »Hast du Angst?«, fragte er ihn leise.
    Selden dachte kurz nach. »Ich habe mehr Hunger als Angst«, antwortete er und richtete sich auf. Sein Blick glitt über den Drachen. Als er ihn wieder auf Reyn richtete, glänzten seine Augen. Verwundert schüttelte er den Kopf. »Legenden, Wandteppiche und Gemälde… All das erscheint so schwach neben ihrem Glanz. Sie ist zu fantastisch für unser Misstrauen oder unsere Angst. Selbst wenn sie mich auf der Stelle töten würde, würde ich doch immer noch in ihrem Glanz sterben.« Die außergewöhnlichen Worte des Jungen erschreckten Reyn. Selden holte tief Luft und nahm all seine Kraft zusammen. Reyn wusste, was es ihn kostete, gerade dazustehen und zu erklären: »Ich lasse mich von ihr tragen.«
    »Ach? Wirklich?«, spottete die Drachenkönigin boshaft. Ihre Augen glitzerten vor Belustigung, aber auch erfreut über die Schmeicheleien des Jungen.
    »Wir tun es«, erklärte Reyn entschieden. Selden schwieg, schnappte aber nach Luft, als die Drachenkönigin sich plötzlich auf ihre Hinterbeine erhob. Es fiel Reyn unendlich schwer, ruhig stehen zu bleiben, als sie mit den scharfen Krallen ihrer Vorderklauen nach ihnen griff. Er hielt Selden an sich gedrückt und rührte sich nicht, als die Drachenkönigin ihre Klauen um sie schloss. Mit den Spitzen ihrer Krallen tastete sie die beiden ab und nahm Maß, bevor sie zupackte. Die scharfen Enden zweier Krallen drückten ungemütlich gegen Reyns Rücken, aber sie durchbohrten ihn nicht. Tintaglia drückte die beiden an ihre Brust, wie ein Eichhörnchen seine Beute trägt. Selden stieß unwillkürlich einen Schrei aus, als sie sich auf ihre gewaltigen Hinterbeine hockte und sich dann in den Himmel abstieß.
    Mit einem Schlag ihrer blauen Schwingen stiegen sie empor und gewannen dann stetig an Höhe. Die Baumwipfel schlossen sich unter ihnen. Reyn verrenkte sich fast den Hals und wurde mit einem Schwindel erregenden Blick auf das Blättermeer unter ihm belohnt. Sein Magen verkrampfte sich, aber im nächsten Moment weitete sich sein Herz vor Ehrfurcht. Er vergaß beinahe seine Angst über diesem neuen, gefährlichen Blickwinkel auf die Welt. Der Regenwildwald leuchtete weit unter ihnen in seinem üppigen Grün. Reyn

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