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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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empfindliche Haut würde das Reiben rauen Stoffes nicht überstehen. Jetzt hockte der Junge auf dem Stuhl gegenüber von Kennit. Etta war klar, dass er offenbar keine Position finden konnte, die seine Schmerzen linderte. Er hatte etwas von dem gegessen, was sie ihm vorgesetzt hatte, aber es schien ihn nicht besonders zu stärken. Wo das Gift an ihm gefressen hatte, war seine Haut rot gefleckt und glänzte. Die roten kahlen Flecken auf seinem Kopf erinnerten sie an einen räudigen Hund.
    Aber das Schlimmste war der dumpfe Blick seiner Augen. Sie spiegelten den Verlust und die Verlassenheit im Blick von Kennit wider.
    Der Pirat saß Wintrow gegenüber, sein dunkles Haar war zerzaust, sein Hemd halb zugeknöpft. Kennit, der sonst immer so sorgfältig auf seine Erscheinung achtete, schien sein Äußeres jetzt vollkommen vergessen zu haben. Etta konnte es kaum ertragen, den Mann anzusehen, den sie liebte. Seit ihrer ersten Begegnung war aus dem einfachen Kunden der Mann geworden, nach dem sie sich sehnte. Als er sie auf sein Schiff mitgenommen hatte, dachte sie, nichts könnte ihr eine größere Freude bereiten. Doch die Nacht, in der er ihr gestand, dass sie ihm wichtig war, hatte ihr Leben verändert. Sie hatte ihn wachsen sehen, vom Kapitän eines Schiffes zum Kommandeur einer ganzen Flotte von Piratenschiffen. Mehr noch, die Menschen verehrten ihn als König der Pirateninseln. Sie hatte gedacht, dass sie ihn in dem Sturm verlieren würde, doch er gebot den Elementen und sogar einer Seeschlange. Sie war eines Mannes nicht würdig, den Sa für ein erhabeneres Schicksal auserwählt hatte. Beschämt gestand sie sich ein, dass sie sogar seine Größe bedauert hatte. Er hatte sich erhoben, und sie war darauf eifersüchtig gewesen, weil sie glaubte, dass es ihn ihr entfremden würde.
    Dies hier jedoch war noch tausendmal schlimmer.
    Kein Kampf, keine Verletzung und kein Sturm hatten ihn so schwächen können. Niemals hatte sie ihn unsicher oder hilflos erlebt, niemals, bis zu dieser Nacht. Selbst jetzt noch saß er aufrecht am Tisch, trank seinen Branntwein und hielt sich kerzengerade. Seine Hände zitterten nicht. Trotzdem hatte er etwas verloren. Sie hatte gesehen, wie es ihn verließ, wie es mit dem Leben des Schiffes davonflog. Er wirkte jetzt genauso hölzern wie Viviace. Sie hatte sogar Angst davor, ihn zu berühren, fürchtete zu entdecken, dass seine Haut genauso hart war wie das Deck.
    Er räusperte sich. Wintrow sah ihn beinahe erschreckt an.
    »Also.« Das kurze Wort klang schneidend wie eine Klinge.
    »Du glaubst, sie ist tot. Was hat sie getötet?«
    Jetzt räusperte sich Wintrow. Es klang leise und zittrig. »Ich.
    Das heißt, was ich wusste, hat sie umgebracht. Oder sie so weit in sich selbst hineingetrieben, dass sie keinen Weg zu uns zurückfindet.« Er schluckte, vielleicht rang er sogar mit den Tränen. »Möglicherweise hat sie auch einfach nur begriffen, dass sie immer schon tot gewesen ist. Vielleicht war es nur mein Glaube daran, dass sie lebendig war, der sie am Leben gehalten hat.«
    Kennits Schnapsglas klackte laut auf dem Holz der Tischplatte, als er es ungestüm absetzte. »Sprich nicht in Rätseln!«, knurrte er seinen Propheten an.
    »Entschuldigt, Herr.« Der Junge hob zitternd die Hand und rieb sich die Augen. »Es ist eine lange und verwirrende Geschichte. Meine Erinnerungen haben sich mit meinen Träumen vermischt. Ich glaube, vieles davon habe ich immer schon erwartet. Als ich mit der Seeschlange in Kontakt gekommen bin, stießen meine vagen Vermutungen auf ihr Wissen. Und dann wusste auch ich.« Wintrow hob den Blick und sah Kennit an.
    Er wurde blass, als er die blinde Wut in den Augen des Mannes bemerkte. Rascher fuhr er fort: »Als ich die eingesperrte Seeschlange auf Anderland fand, dachte ich, es wäre nur ein gefangenes Tier, mehr nicht. Sie war Mitleid erregend, und ich beschloss, sie zu befreien, wie ich es bei jedem anderen Geschöpf auch getan hätte. Keine Kreatur Sas sollte in solch grausamer Gefangenschaft gehalten werden. Während ich arbeitete, kam es mir vor, als wäre sie intelligenter als ein Bär oder eine Katze. Sie begriff anscheinend, was ich tat. Als ich genug Stangen entfernt hatte, dass sie entkommen konnte, floh sie auch sofort. Aber als sie sich an mir vorbeizwängte, berührte ihre Haut die meine. Sie verbrannte mich. Im selben Moment jedoch erkannte ich sie auch. Es war, als wäre eine Brücke zwischen uns beiden geschlagen worden, wie das Band, das ich mit dem

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