Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Krücke unter den Arm und stand auf.
    Mühsam und vorsichtig ging er auf Deck. Vielleicht war er selbst ein kleines bisschen angetrunken.
    Es war eine schöne, ruhige Nacht. Das Meer war etwas unruhiger geworden und wogte gegen sie, aber der schlanke Rumpf der Viviace nahm jede Welle mit einer rhythmischen Eleganz.
    Der Wind war beständiger und stärker als vorher. Es war sogar ein leises Pfeifen darin, wenn er an ihren Segeln vorbeiwehte.
    Kennit runzelte die Stirn, neigte den Kopf und lauschte, aber noch während er hinhörte, wurde das Geräusch schwächer.
    Er machte einen langsamen Rundgang über das Deck. Der Erste Maat stand am Ruder. Er grüßte seinen Kapitän mit einem Nicken, sagte jedoch kein Wort. Das war gut so. In der Takelage würde ein Mann auf Wache sein, aber er war in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises der gedämpften Laternen unsichtbar. Kennit ging langsam weiter. Das Klopfen seiner Krücke stand im Gegensatz zu seinem lautlosen Schritt.
    Sein Schiff. Die Viviace war sein Schiff, und er würde sie auch wieder lebendig machen. Wenn ihm das gelang, dann wusste sie, dass er ihr Herr war, dass sie ihm auf eine Art gehörte, wie sie Wintrow niemals gehört hatte. Sein eigenes Lebensschiff, wie er es immer verdient hatte. Nichts würde sie ihm entreißen.
    Nichts.
    Mittlerweile hasste er die kurze Leiter, die vom Hauptdeck zum erhobenen Vordeck führte. Doch er bewältigte sie, und das nicht einmal allzu unbeholfen. Danach blieb er einen Moment sitzen und rang nach Luft. Allerdings tat er, als betrachte er nur die Nacht. Dann klemmte er die Krücke fester unter den Arm, wurde sicherer und näherte sich der Bugreling. Er blickte aufs Meer hinaus. Die weit entfernten Inseln wirkten wie niedrige, schwarze Hügel am Horizont. Er warf einen kurzen Blick auf die graue Galionsfigur, dann schaute er an ihr vorbei auf den Ozean.
    »Guten Abend, süße Seelady«, begrüßte er sie. »Eine schöne Nacht, und den Wind gut im Rücken. Was kann man mehr verlangen?«
    Er lauschte ihrem Schweigen, als hätte sie geantwortet. »Ja.
    Es ist gut. Ich bin genauso erleichtert wie du, dass Wintrow sich wieder erholt. Er hat gegessen, einen Schluck Wein getrunken und ziemlich viel Branntwein. Ich dachte, dem Jungen würde ein ausgiebiges Schläfchen bei seiner Genesung helfen.
    Und natürlich passt Etta auf ihn auf. Dadurch haben wir ein paar Minuten ungestört für uns, meine Prinzessin. Also: Was würde dich heute Abend erfreuen? Ich erinnere mich an ein entzückendes altes Märchen aus dem Süden. Möchtest du es gern hören?«
    Nur Wind und Wellen antworteten ihm. Verzweiflung und Zorn nagten an ihm, aber er äußerte sie nicht. Stattdessen lächelte er herzlich. »Also gut. Es ist eine alte Sage aus der Zeit, bevor Jamaillia existierte. Einige behaupten, es wäre eigentlich ein Märchen von den Verwunschenen Ufern, das in den Südlanden erzählt wurde, bis sie es schließlich als ihr eigenes beanspruchten.« Er räusperte sich und schloss die Augen zu schmalen Schlitzen. Als er dann sprach, redete er in der Art seiner Mutter, dem typischen Singsang eines Geschichtenerzählers. So hatte sie vor langer Zeit gesprochen, bevor Igrot ihr die Zunge herausgeschnitten und ihre Worte für immer verstümmelt hatte.
    »Einst, in dieser so lange vergangenen Zeit, gab es eine junge Frau, die reich an Verstand, aber arm an Vermögen war. Ihre Eltern waren schon alt, und wenn sie starben, würde sie das Wenige erben, was ihnen gehörte. Vielleicht wäre sie ja damit zufrieden gewesen, aber in ihrer Senilität verfielen die Alten auf die Idee, eine Ehe für ihre Tochter zu arrangieren. Der Mann, den sie auswählten, war ein Bauer. Der hatte eine Menge Geld, aber gar keinen Verstand. Die Tochter wusste sofort, dass sie mit ihm niemals glücklich sein könnte, ja, ihn nicht einmal ertragen würde. Also verließ Edrilla, so hieß sie, ihre Eltern und ihr Heim und…«
    »Erlida war ihr Name, Dummkopf!« Viviace drehte sich langsam um und sah ihn an. Ihre Bewegung ließ Kennit einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Anscheinend war ihr gelenkiger, schlangenähnlicher Körper keinen menschlichen Beschränkungen unterworfen. Ihr Haar war plötzlich rabenschwarz, mit silbrigen Strähnen durchsetzt. Ihre goldfarbenen Augen glitzerten im Licht der Schiffslaternen und schienen ihn zu blenden. Als sie ihn anlächelte, öffnete sie ihren Mund etwas zu weit, und die Zähne, die sie entblößte, schienen sowohl weißer als auch

Weitere Kostenlose Bücher