Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Wintrows Befehle. Sie hörte sie nicht einmal. Reyn war den ganzen weiten Weg gekommen, hatte sie gesucht, und sie war zu feige gewesen, um auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.
Sie hatte den Schmerz seiner Ablehnung so sehr gefürchtet, dass sie nicht einmal den Mut besaß, ihm zu danken. Und jetzt hatte sie Angst, dass sie nur noch einen toten Mann finden würde.
Er lag mit dem Gesicht nach unten. Sie musste einen anderen Leichnam von ihm wegschieben. Der Mann, der auf ihm lag, war schwer. Sie zerrte an ihm, während um sie herum alle Welt eine wahnsinnige Rettungsaktion für Kennit startete. Niemand, weder ihr Bruder noch ihre Tante, kam ihr zu Hilfe. Sie schluchzte keuchend, während sie sich abmühte. Sie hörte, wie die beiden Lebensschiffe sich gegenseitig etwas zuriefen.
Seeleute rannten um sie herum, ohne auf sie zu achten. Sie fiel auf die Knie, in das Blut, stemmte ihre Schulter gegen den massigen Leichnam und schob den Toten von Reyn herunter.
Das Gemetzel, das sie sah, nahm ihr den Atem. Seine Kleidung war blutdurchtränkt, und das Blut stand in einer Pfütze um seinen Körper. Er lag ausgestreckt mitten drin, entsetzlich still. »Oh, Reyn. Oh, mein Liebster.« Sie presste die heiseren Worte heraus, die unbewusst in ihrem Herzen geschlummert hatten, seit ihrem ersten gemeinsamen Traum mit der Traumdose. Ohne auf das Blut zu achten, beugte sie sich herab und umarmte ihn. Er war noch warm. »Es sollte nicht sein«, stöhnte sie. »Es hat nicht sollen sein!« Es war für sie, als verlöre sie aufs Neue Heim und Familie. In seinen Armen, das wusste sie plötzlich mit untrüglicher Sicherheit, war der einzige Platz auf der Welt, an dem sie wieder Malta hätte sein können. Mit ihm starben ihre Jugend, ihre Schönheit und ihre Träume.
Zärtlich, als könnte er immer noch Schmerzen empfinden, drehte sie ihn herum. Sie wollte ein letztes Mal sein Gesicht sehen, in seine kupferfarbenen Augen schauen, auch wenn er ihren Blick nicht erwiderte.
Ihre Hände waren glitschig von seinem Blut, als sie den Schleier von seinem Hemdkragen löste und ihn über seinen Kopf streifte. Dabei blieb ein Gitterwerk aus Blut auf seinem schlaffen Gesicht zurück. Zärtlich wischte sie ihm das Blut mit einem Zipfel ihres Umhangs ab. Sie beugte sich herunter und küsste seinen reglosen Mund, Lippen auf Lippen, ohne Traum und ohne Schleier zwischen ihnen. Sie hörte wie aus weiter Ferne die Rufe der Matrosen und Kampfgeräusche. Aber das kümmerte sie nicht. Ihr Leben hörte hier auf. Sie zeichnete die schuppige Linie seiner Stirn nach, die schuppige Haut, die sich unter ihren Fingerspitzen wie eine fein geflochtene Kette anfühlte. »Reyn«, sagte sie leise. »Ach, mein Reyn.«
Er öffnete halb die Augen. Kupfer leuchtete auf. Fasziniert sah sie zu, wie er zweimal blinzelte und dann die Augen ganz aufschlug. Er musterte sie. Dann stöhnte er vor Schmerzen und berührte mit der rechten Hand seinen blutigen, linken Ärmel.
»Ich bin verletzt«, sagte er benommen.
Sie beugte sich dichter über ihn. Ihr Herz hämmerte in ihren Ohren. Sie konnte kaum ihre eigenen Worte verstehen. »Reyn, lieg still. Du blutest stark. Ich kümmere mich um dich.« Mit einer Zuversicht, die sie nicht wirklich empfand, knöpfte sie sein Hemd auf. Sie versagte sich jede Hoffnung, sie hoffte gar nichts. Sie wagte, nicht einmal zu beten, weder darum, dass er leben möge, noch darum, dass er sie liebte. Solche Hoffnungen waren zu groß. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie nicht einmal die Knöpfe lösen konnte.
Sie zerriss das Hemd, schlug es weit auf und wappnete sich gegen die Wunden, die unzweifelhaft auf sie warteten. »Du bist unversehrt!«, rief sie. »Sa sei gelobt!« Sie strich mit der Hand staunend über seine bronzefarbene Brust. Die Schuppen bewegten sich unter ihrer Hand und glänzten im blassen Wintersonnenlicht.
»Malta?« Er blickte sie an, als könnte er endlich erkennen, wer neben ihm kniete. Er packte ihre beiden Hände mit seiner blutigen Rechten und fixierte dabei die Narbe auf ihrer Stirn.
Seine Augen weiteten sich, und er ließ ihre Hände sinken.
Scham und Schmerz durchzuckten Malta, aber sie wandte den Blick nicht ab. Als ob er nicht widerstehen könnte, hob er die Hand. Aber er berührte nicht ihre Wange, wie sie gehofft hatte, sondern seine Finger glitten über die hervorstehende Narbe und strichen bis in den Haaransatz. Tränen brannten in ihren Augen.
»Gekrönt«, murmelte er. »Aber wie kann das sein? Du hast einen
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