Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
fürchterlichen Schauer gepackt. Er musste nicht erst hinsehen. Es war die Stimme eines toten Schiffes, das ihn zu sich rief. Er versuchte aufzustehen, aber ohne Krücke war das schier unmöglich. »Hilf mir hoch!«, fuhr er den Satrapen an. Vermutlich hätte Seine Hoheit zu jedem anderen Zeitpunkt ein solches Unterfangen beleidigt abgelehnt, aber der Klang von Kennits Namen dröhnte immer noch in aller Ohren. Er stand schnell auf und reichte dem Piraten die Hand. Selbst die Männer an Deck arbeiteten plötzlich langsamer und sahen zurück. Auf einigen Gesichtern war deutlich das Entsetzen zu erkennen. Kennit zog sich an der schlanken Schulter des Satrapen hoch und suchte mit wildem Blick nach dem Geisterschiff.
Er musste nicht lange suchen. Es segelte schnell von Steuerbord heran.
Unmöglich. Es war Paragon, vom Tod verjüngt. Eine geisterhafte weiße Seeschlange spielte vor seinem Bug.
Schneller als der Wind fuhr das Lebensschiff neben sie. Und um den Albtraum zu vervollständigen, stand seine Mutter auf dem Vordeck. Ihr weißes Haar wehte im Wind. Sie sah ihn und streckte die Hand nach ihm aus.. Eine goldene Göttin stand neben ihr, und ein Toter befehligte die Mannschaft. Kennits Zunge klebte an seinem Gaumen. Die Geister der Vergangenheit segelten vorbei, unglaublich schnell, überholten das jamaillianische Schiff und drängten es ab. »Kennit!«, donnerte die Stimme wieder. »Ich bin deinetwegen hier!«
Paragons Stimme klang eisig vor Wut. »Übergebt mir Kennit! Ich befehle es! Er gehört mir!«
»Ergebt Euch!« Viviaces Stimme gellte wie ein Donnerschlag durch die Luft. Sie kam von der Backbordseite des Schiffes.
Kennit konnte sie zwar nicht sehen, aber er wusste, dass sie ganz nah sein musste. Er fasste neuen Mut. Sie konnte ihn retten. »Ergib dich, jamaillianisches Schiff, oder wir bohren dich auf den Grund des Meeres!«
Der Jamaillianer konnte nirgendwohin ausweichen. Trotz der verzweifelten Befehle des Kapitäns, Fahrt zurückzunehmen, verlangsamte das Schiff nicht rasch genug seine Geschwindigkeit. Der Paragon schnitt ihm rücksichtslos den Weg ab. Zwar wich der Jamaillianer aus, aber es reichte nicht.
Das Schiff stieß in einem spitzen Winkel gegen den Paragon. Holz ächzte, und ein lautes Splittern ertönte. Das Hexenholz absorbierte den Aufprall, aber von dem jamaillianischen Schiff flogen die Splitter nur so davon. Es drehte sich langsam herum und war vollkommen außer Kontrolle. Die Segel flatterten und schlugen heftig im Wind. Plötzlich gab es einen weiteren, knirschenden Aufprall, als die Viviace gegen die andere Seite drückte. Es war ein gewagtes Manöver, eines, das alle drei Schiffe hätte versenken können. Der Schwung der Schiffe drehte sie alle drei in einem langsamen Kreis herum. Matrosen auf allen drei Decks schrieen entsetzt auf. Die Takelage der drei Schiffe drohte sich zu verfangen. Und an den beiden Seiten der Lebensschiffe segelten die Marietta und die Motley vorbei, um herannahende jamaillianische Schiffe fern zu halten.
Das Deck unter Kennit bebte immer noch von dem Aufprall, als Fangleinen von beiden Lebensschiffen darauf landeten. Von beiden Seiten sprangen Enterer über die Reling. Kampflärm brandete auf, in den sich die wilden Schreie der Lebensschiffe mischten. Selbst die Schlange trompetete wie wild. Und plötzlich waren die Häscher vollkommen damit beschäftigt, um ihr eigenes Leben zu kämpfen.
»Satrap! Wir müssen versuchen, zur Viviace durchzukommen!« Kennit hielt den Satrapen fest und schrie in sein Ohr. »Ich führe Euch dorthin!«, versicherte er, falls diese lebende Krücke versuchen sollte, allein dorthin zu gehen.
»Tötet sie!« Der Schrei des jamaillianischen Kapitäns drang durch den Kampflärm. Es war der wütende Schrei eines Verzweifelten. »Lord Criaths Befehl lautet, sie auf keinen Fall lebend in die Hände des Feindes fallen zu lassen! Tötet den Satrapen und den Piratenkönig. Lasst sie nicht entkommen!«
Das Deck der Viviace war noch immer von Leichen bedeckt, und das Blut stand in Pfützen auf dem versiegelten Holz. Es war eine schlüpfrige Angelegenheit, darauf herumzulaufen. Die wie verrückt herumrennenden Matrosen, die ausgestreckten, flehentlichen Hände der Verletzten und die starke Neigung des Decks machten Maltas Weg zu der Stelle, an der Reyn gestürzt war, zu einem wahren Albtraum. Sie hatte das Gefühl, dass sie einsam durch Chaos und Wahnsinn ging, dem Ende der Welt entgegen. Piraten rannten an ihr vorbei und befolgten
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