Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Mannschaft töten wollen. Amber sollte das wissen.
Sie wusste doch jetzt alles. Schamerfüllt musste er zugeben, dass es ihn tröstete, dieses schreckliche Wissen zu teilen. Denn er war froh, dass es endlich jemand anders wusste. Sein kindliches Selbst hoffte, dass sie ihm jetzt endlich sagen würde, was er tun sollte. Er hatte zu lange mit diesen Geheimnissen gerungen, ohne zu wissen, was er mit diesen furchteinflößenden und beschämenden Erinnerungen anfangen sollte. Eigentlich hätten sie verschwinden müssen, wo er sie doch so lange versteckt hatte. Sie hätten längst belanglos werden müssen. Stattdessen waren sie wie eine Eiterbeule gewachsen, und gerade, als er ein neues Leben anfangen wollte, war die alte Wunde aufgeplatzt und hatte alles vergiftet.
Beinahe hätte es sie sogar alle getötet.
»Du hättest es uns sagen sollen.« Ihre Worte klangen steif, als wollte sie sie eigentlich lieber zurückhalten. »Du wusstest die ganze Zeit so viel, was uns hätte helfen können, und hast es für dich behalten. Warum, Paragon? Warum?«
Er schwieg eine Weile. Er spürte, was sie tat. Sie sicherte eine Leine an einer Klampe und prüfte, ob sie ihr Gewicht hielt.
Dann trat sie an die Reling und kletterte unbeholfen darüber.
Sie ließ sich zum Bug hinunter, schwang sich vor den Paragon und landete ohne Vorwarnung mit ihren nackten Füßen auf seiner Brust. Seine Hände zuckten automatisch hoch, um sie zu fangen. Sie erstarrte in seinem Griff und redete dann resigniert weiter. »Ich weiß, du könntest mich auf der Stelle töten, wenn du wolltest. Aber wir hatten von Anfang an keine Wahl, als dir unser Leben anzuvertrauen. Ich hatte gehofft, dass dieses Vertrauen beidseitig wäre, aber offensichtlich war dem nicht so. Du hast gezeigt, dass du in der Lage bist, uns alle umzubringen. Da das so ist, sehe ich keinen Sinn darin, dich länger zu fürchten. Entweder bringst du uns um oder nicht. Du hast mir bewiesen, dass ich keinerlei Kontrolle darüber habe. Mir bleibt nur, mein Leben zu leben und zu tun, was mir bestimmt ist.«
»Vielleicht ist das auch alles, was ich tun kann!«, konterte er.
Er formte mit seinen Händen eine Plattform, auf der sie stehen konnte, wie er es vor so vielen Jahren für den jungen Kennit getan hatte.
Sie schien seine Worte zu ignorieren. Ihre behandschuhten Hände bewegten sich zart über sein Gesicht. Sie tastete nicht seine alten Narben ab, sondern berührte seine Wangen, seine Nase und seinen Bart.
Er konnte das Schweigen nicht ertragen. »In dieser Nacht hast du mich geliebt. Du warst bereit, dein Leben zu verlieren, um meines zu retten. Wie kannst du jetzt so wütend auf mich sein?«
»Ich bin nicht wütend«, widersprach sie. »Ich kann nur nicht anders, als mir vorzustellen, dass alles auch anders hätte kommen können. Ich bin… verletzt. Nein. Entsetzt. Über all das, was du nicht getan hast, während wir alles für dich taten, was wir konnten. Und über alles, was du uns vorenthalten hast. Und wahrscheinlich hat die Tiefe dieser Enttäuschung etwas mit der Stärke zu tun, mit der ich dich geliebt habe. Warum hast du uns nicht vertraut, Paragon? Wenn du uns deine Geheimnisse mitgeteilt hättest, wäre alles anders gekommen.«
Er dachte eine Weile über ihre Worte nach, während sie seinen Hals und sein Kinn untersuchte. »Du steckst doch selber voller Geheimnisse«, beschuldigte er sie plötzlich. »Voller Dinge, die du nie mit uns anderen geteilt hast. Wie kannst du mich dafür verachten, dass ich dasselbe getan habe?«
Ihr Ton schlug plötzlich ins Förmliche um. »Meine Geheimnisse sind meine Angelegenheit. Und dass ich sie für mich behalte, fügt niemandem Schaden zu.«
Er stürzte sich auf ihre Zweifel. »Aber sicher bist du dir nicht. Meine Geheimnisse waren gefährlich, ob ich sie nun ausplauderte oder für mich behielt. Aber sie gehörten mir.
Vielleicht waren sie das Einzige auf der Welt, was wirklich ganz und gar mir gehörte.«
Sie schwieg lange. »Wo sind die Drachen?«, fragte sie schließlich. »Was sind diese Drachen, und warum sind sie in dir? Bist du der Grund, warum ich von Drachen und Seeschlangen geträumt habe? Haben meine Rufe mich wirklich zu dir gebracht?«
Er dachte einen Augenblick nach. »Was gibst du mir, wenn ich dir antworte? Ein eigenes Geheimnis? Um mir zu zeigen, dass du mir genauso vertraust wie ich dir?«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, antwortete Amber langsam. Sie hatte aufgehört, sein Gesicht abzutasten. »Meine
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