Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Wintrows Hemd brachte Kennits Blut zum Sieden. Ein unnatürliches Glitzern in ihren Augen zeigte, dass sie das Schlafmittel, das er ihr eingeflößt hatte, noch nicht ganz abgeschüttelt hatte. Er nahm die Deckel von ihrem Essen und servierte es ihr, wie es einst der Schiffsjunge Kennit für den Piraten Igrot getan hatte.
Eigenartige Parallelen, dachte er. Aber er schob den Gedanken beiseite und zwang sich, seine Stimme beiläufig klingen zu lassen.
»Ich habe Euch meine Bedenken schon erklärt. Meine Mannschaft ist leider nicht gerade die zuvorkommende Gesellschaft, in der Ihr aufgezogen worden seid. Wenn ich Euch erlauben würde, auf dem Schiff frei herumzulaufen, würde das einen Affront geradezu herausfordern, vielleicht sogar einen direkten Angriff. Viele meiner Leute sind ehemalige Sklaven, und einige waren sogar Sklaven auf diesem Schiff. Sie haben lange Zeit im Bauch der Viviace zugebracht, angekettet in Kälte und Dreck. Eure Familie hat sie dorthin gebracht. Sie hegen nicht sonderlich viel Wohlwollen für Kyle Havens Verwandtschaft. Ihr sagt, dass Ihr nicht für seine Behandlung der Männer auf Eurem Familienschiff verantwortlich wart. Aber ich fürchte, es ist nicht ganz einfach, der Mannschaft das deutlich zu machen. Nicht einmal dem Schiff. Ich weiß, dass Euch vor allem Viviace interessiert.« Er lächelte nachsichtig. »Wenn Ihr diese Kabine verlassen dürftet, würdet Ihr geradewegs zur Galionsfigur laufen. Mir ist klar, dass Ihr mir nicht glauben werdet, wenn ich Euch sage, dass es Viviace nicht mehr gibt.« Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie die Lippen zusammenpresste und ihr Kinn vorstreckte. Es war dieselbe Geste, die auch Wintrow an den Tag legte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Kennit musste beinahe lächeln, nahm sich aber zusammen. Ernst schüttelte er den Kopf. »Aber sie ist verschwunden, und Blitz würde niemals nett zu Euch sein. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sie so weit gehen würde, Euch mit körperlicher Gewalt zu bedrohen. Und ich möchte es lieber nicht durch ein Experiment herausfinden.«
Er erwiderte ihren steinharten Blick mit einem herzlichen Lächeln. Wie schwarz ihre Augen waren! »Kommt, esst etwas. Vielleicht werdet Ihr dann vernünftiger.«
Ein Hauch von Unsicherheit zeigte sich auf ihrer Miene. Er erinnerte sich an das Gefühl. Igrot, das Sinnbild der Brutalität, pendelte nach Tagen von Grausamkeit und Härte plötzlich wieder zu liebevollerem Verhalten zurück, unterwies ihn in Etikette und betrachtete ihn mit Blicken beinahe väterlicher Zuneigung. Er lobte ihn, wenn er die Arbeit gut erledigt hatte, und sagte ihm eine strahlende Zukunft voraus. Und dann kam ohne jede Vorwarnung der harte, feste Griff um sein Handgelenk. Er riss ihn an sich, und dann raute die unrasierte Wange des Mannes Kennits zarte Haut auf, während sich der Junge gegen die Umarmung des Piraten wehrte.
Plötzlich kam er sich verletzlich vor. Konnte diese Frau ihm gefährlich werden? Er versuchte, sie wieder arglos anzulächeln, brachte aber nur einen abschätzenden Blick zustande. Sie erwiderte den Blick.
»Ich will nichts essen«, erklärte sie tonlos. »Ihr gebt etwas in mein Essen, damit ich schlafe. Ich mag das nicht. Ich mag auch keine lebhaften Träume und schon gar nicht die Art und Weise, wie ich mich fühle, wenn ich aufwachen will und es nicht kann.«
Er brachte es fertig, schockiert auszusehen. »Liebe Dame, ich fürchte, Ihr wart erschöpfter, als Ihr gemerkt habt. Ich denke, Ihr habt Euch durch den Schlaf jetzt erst davon erholt, dass Ihr beinahe im eisigen Wasser ertrunken seid. Es ist ganz natürlich, dass Euer Körper sich entspannt und ruht, wo Ihr an Bord Eures Familienschiffes seid. Aber… wartet. Lasst mich sichergehen.«
Er setzte sich auf ihren Stuhl und aß sorgfältig einen Löffel von jeder Speise auf ihrem Teller und tat auch, als trinke er einen Schluck Wein. Dann tupfte er sich die Lippen mit ihrer Serviette ab und lächelte sie wieder an. »So. Zufrieden? Kein Gift.« Er neigte den Kopf und sah sie fragend an. »Und warum, in aller Welt, nehmt Ihr an, dass ich Euch vergiften wollte? Für was für ein Monster haltet Ihr mich? Fürchtet und hasst Ihr mich so sehr?«
»Nein. Nein, das heißt… Ich weiß, dass Ihr freundlich zu mir gewesen seid. Aber…« Sie holte einmal tief Luft, und er merkte, dass sie ihre närrische Anschuldigung bereute. »Ich habe nicht gesagt, dass es sich um Gift handelt. Ich weiß nur, dass ich zu tief schlafe und
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