Zaubersommer in Friday Harbor
oder
Zimt-Kaffee-Kuchen mit Karamellüberzug aus braunem Zucker. Nachmittags
stellte Zoë Tabletts mit Kaffee und Gebäck in die Aufenthaltsräume. Auf
Etageren stapelten sich Kürbisdoppelkekse mit Frischkäsefüllung,
Schokoladenbrownies, die so viel wogen wie ein Briefbeschwerer, und kleine
Obsttörtchen mit kandierten Früchten.
Einige Männer
hatten bereits Interesse an ihr gezeigt, aber bisher hatte Zoë alle abgewiesen,
denn sie hatte den katastrophalen Ausgang ihrer Ehe noch nicht überwunden. Zu
ihrem größten Kummer hatte es offenbar außer ihr niemanden überrascht, dass
ihr Mann Chris schwul war.
„Jeder hat das gewusst”, hatte
Justine ihr unverblümt erklärt. „Ich habe es dir gesagt, bevor du ihn
geheiratet hast, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.”
„Chris machte auf mich nicht den
Eindruck, schwul zu sein.”
„Und seine Schwärmerei für Sarah Jessica
Parker?”
„Auch Heteros mögen Sarah Jessica
Parker”, verteidigte sich Zoë.
„Schon, aber wie viele Heteros
benutzen das Parfum von Sarah Jessica Parker als Aftershave?”
„Für mich war es ein zitroniger Duft.”
„Und
erinnerst du dich noch an den Skiurlaub in Aspen?”
„Auch Heteros fahren Ski in
Aspen.”
„Während
der Schwulen-Ski-Woche?”, bohrte Justine weiter, und Zoë musste zugeben,
das sei vermutlich ein verräterisches Zeichen gewesen.
„Und weißt
du noch, wie Chris immer behauptet hat, jeder sei ein kleines bisschen
schwul?”
„Ich
dachte, er zeigt damit seine intellektuelle Seite.”
„Er zeigte
damit seine homosexuelle Seite, Zoë. Glaubst du wirklich, ein Hetero würde so
etwas sagen?”
Leider war
Zoës Vater ein strikter Scheidungsgegner. Für ihn gab es keine
Scheidungsgründe, und er war der festen Überzeugung, die Ehe hätte gerettet
werden können, wenn sie sich für Paartherapie entschieden hätten. Er verstieg
sich sogar zu einer Äußerung, Zoë sei schuld. Ihr Mann sei vor seiner Heirat nicht schwul gewesen, aber sie habe sich für Chris nicht interessant genug
gemacht. Zoë nahm es ihrem Ex nicht übel, dass er homosexuell war. Sie
verübelte ihm nur, von ihm zu einem ahnungslosen Opfer seiner sexuellen
Selbstfindung degradiert worden zu sein.
„Es ist so
erniedrigend”, gestand sie Lucy, „vom Ehemann wegen eines Kerls verlassen
zu werden. Man fühlt sich, als hätte man sämtliche Frauen der Welt im Stich
gelassen. Als sei ich diejenige, die ihn ans andere Ufer gejagt hat.”
Lucy ging
durch den Kopf, dass man sich häufig dafür schämte, betrogen zu werden. Es war
zwar nicht logisch, aber man konnte nicht umhin, den Betrug als Beweis dafür zu
betrachten, dass es einem selbst an etwas mangelte.
„Was ist
los?”, fragte Justine stirnrunzelnd, als sie die Hintertür öffnete, um
Lucy ins Haus zu lassen. Wie immer trug Justine Jeans und Sweatshirt und hatte
die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. „Du siehst furchtbar aus. Komm
mit in die Küche.”
„Ich bin
klatschnass”, wehrte Lucy ab. „Dann mache ich euch nur alles
dreckig.”
„Quatsch.
Zieh die Schuhe aus und komm rein.”
„Es tut mir
leid, dass ich nicht vorher angerufen habe.” Lucy streifte ihre
schlammverkrusteten Sneakers ab.
„Macht doch
nichts. Wir haben gerade nicht viel zu tun.”
Lucy folgte
ihr in die große warme Küche. Die Tapeten an den Wänden waren mit fröhlichen
dunkelroten Zwillings- und Drillingskirschen bedruckt, und es duftete
appetitlich nach Mehl, heißer Butter, geschmolzener Schokolade. Zoë holte ein
Backblech frisch gebackener Muffins aus dem Ofen. Sie hatte ihre blonden Locken
zu einem losen Knoten hochgesteckt und sah aus wie ein altmodisches Pin-up-Girl:
ausgeprägt weibliche Kurven, eine schmale Taille, von der Hitze des Backofens
rosig überhauchte Wangen.
Zoë
lächelte. „Lucy! Möchtest du meine aktuelle Kreation testen? Ich habe gerade
ein neues Rezept für Schokoladen-Ricotta-Muffins entwickelt.”
Benommen
schüttelte Lucy den Kopf. Irgendwie fühlte sie sich in der heimeligen Wärme der
Küche noch schlechter. Aufsteigende Tränen drohten ihr die Kehle zuzuschnüren,
und sie legte die Hand an den Hals.
Justine
musterte sie besorgt. „Was ist los, Lucy?”
„Es ist
etwas Schlimmes passiert”, brachte Lucy mühsam hervor. „Etwas ganz
Schreckliches.”
„Hast du
dich mit Kevin gestritten?”
„Nein.”
Zittrig rang sie nach Atem. „Er hat mich abserviert.”
Sofort
führten die Freundinnen sie zu einem Stuhl am Tisch. Zoë reichte ihr
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