Zaubersommer in Friday Harbor
brach ab. Im Zimmer schien plötzlich keinerlei Sauerstoff mehr
zu sein. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Wir waren
nicht so oft zusammen”, fuhr Alice hastig fort. „Es war schwer, Zeit zu
finden, um ...”
„Um euch
hinter meinem Rücken miteinander zu vergnügen?”
„Kevin und
ich hätten das anders angehen sollen. Aber ich habe dir nichts weggenommen,
Lucy. Du und Kevin, ihr hattet euch auseinandergelebt. Es war offensichtlich,
dass es zwischen euch nicht mehr gut lief.”
„Für mich
war das nicht offensichtlich. Wir waren zwei Jahre zusammen. Wir haben in einem
Haus miteinander gelebt. Noch letzte Woche haben wir miteinander geschlafen.
Aus meiner Sicht lief es zwischen uns verdammt gut, Teufel noch mal.”
Es fiel
Lucy nicht leicht, so zu reden. Ihr lag es einfach nicht zu fluchen, nicht
einmal jetzt. Aber dennoch tat es ihr gut. Es passte zum Anlass. Und
anscheinend hatte Alice nicht damit gerechnet, dass Lucy und Kevin noch
miteinander schliefen, entnahm sie dem Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Was,
glaubst du, passiert jetzt?”, fragte Lucy. „Erwartest du von mir, dass ich
dir vergebe, meine Beziehung zu Kevin vergesse und mit euch plaudere, wenn wir
uns im Familienkreis treffen?”
„Ich weiß,
dass du Zeit brauchen wirst, bevor du das tun kannst.”
„Zeit
reicht nicht, um das in Ordnung zu bringen. Du hast mehr getan, als mir das
Herz zu brechen, Alice. Du hast unsere Familie zerstört. Was soll jetzt
geschehen? War es das wirklich wert?”
„Kevin und
ich – wir lieben uns.”
„Kevin
liebt nur sich selbst. Und glaubst du nicht, dass er, wenn er mich hintergangen
hat, das Gleiche mit dir tun wird? Denkst du wirklich, dass aus einer
Beziehung, die so anfängt, etwas Gutes werden kann?”
„Er hat
eine andere Beziehung zu mir als zu dir.”
„Worauf
begründest du das?”
„Ich
verstehe deine Frage nicht.”
„Ich frage:
Wo liegt der Unterschied? Warum du? Warum nicht ich?”
„Bei mir
kann Kevin er selbst sein. Du bist so vollkommen, Lucy. Deinen hohen Maßstäben
kann niemand gerecht werden. Außer dir, wie es scheint.”
„Ich habe
nie behauptet, ich sei vollkommen”, sagte Lucy unsicher.
„Das
brauchst du auch nicht. Du bist einfach so.”
„Du willst
also allen Ernstes mir die Schuld an dem geben, was du getan hast?”
„Wir machen
Witze darüber, was für ein Kontrollfreak du bist”, fuhr ihre Schwester
gnadenlos fort. „Kevin sagt, du kannst es nicht ertragen, wenn er eine Socke
auf dem Boden liegen lässt. Du bist so eifrig dabei, alles und jeden zu kontrollieren,
dass du nie einen Augenblick innehalten kannst, um das Offensichtliche zu
bemerken. Ich kann nichts dafür, wenn Kevin mich lieber mag. Ich schubse ihn
nicht herum, so wie du das tust. Und übrigens: Du wirst auch künftig deine
Freunde immer wieder verlieren, wenn du dich nicht änderst.”
„Du hättest
bei diesem nicht unbedingt nachhelfen müssen”, gab Lucy zittrig zurück und
legte auf, bevor ihre Schwester antworten konnte.
Kapitel 5
ie Gedanken, die Lucy nach der
Trennung durch den Kopf gingen,
brachten sie an den Rand einer geistigen Erschöpfung. Sie zerpflückte
vergangene Ereignisse, nahm Unterhaltungen genauestens unter die Lupe und
bewertete sie neu, sortierte mögliche Warnzeichen und verknüpfte sie
miteinander. Nach all dieser Mühe wunderte sie sich schließlich nicht mehr,
dass es zur Trennung gekommen war, sondern nur noch darüber, dass sie die
vielen Vorzeichen nicht wahrgenommen hatte.
Und sie
wusste, dass es fast allen Menschen in der Trennungsphase so ging wie ihr.
„Die
meisten Leute haben gar nicht die Zeit, etwas im Kontext zu betrachten,
während es ihnen passiert”, sagte Justine. „Wir alle sind viel zu
beschäftigt damit, den Zahnarzttermin nicht zu vergessen, rechtzeitig zur
Arbeit zu kommen und das Aquarium zu reinigen, bevor die Fische krank
werden.”
„Ich kann
einfach nicht fassen, wie leicht Kevin mich täuschen konnte”, gab Lucy
nachdenklich zurück. „Ich glaubte, ihn so gut zu kennen, und nun stellt sich
heraus, dass ich ihn überhaupt nicht kannte.”
„So
funktioniert Betrug nun mal. Menschen können dich nicht verletzen, solange du
ihnen nicht vertraust.”
„Ich glaube
nicht, dass er es darauf angelegt hat, mich zu verletzen. Aber irgendwann im
Laufe unseres Zusammenlebens haben sich Kevins Empfindungen für mich geändert,
und ich habe das nicht gemerkt. Vielleicht hat er sich wirklich nur in
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