Zaubersommer in Friday Harbor
eingesetzt und mit Spezialfensterkitt fest verankert
hatte, stabilisierte sie das ganze Fenster mit aufgelöteten Verstärkungen aus
verzinkten Flachstahl-Windeisen.
Gegen zwei
Uhr morgens war sie fertig und trat von ihrer Werkbank zurück. Tiefe
Befriedigung erfüllte sie, als sie das Fenster betrachtete. Es war ganz genauso
geworden, wie sie es sich vorgestellt hatte: pietätvoll und schön, ein wenig
skurril. Passend zu der Biker-Kirche, für die es gemacht war.
Es hatte
ihr gutgetan, etwas Produktives zu leisten und sich auf etwas anderes zu
konzentrieren als ihre aktuellen Probleme. Mein Glas hat mich noch nie im Stich
gelassen, dachte sie und strich mit den Fingerspitzen über eines der glänzenden
durchscheinenden Einzelbilder.
Eigentlich
hätte Lucy ihren
Eltern längst von der Trennung von Kevin erzählen müssen. Doch sie hatte das
Telefonat immer wieder aufgeschoben. Sie brauchte Zeit, über das Geschehene
nachzudenken, und außerdem war sie sicher, dass Alice inzwischen längst
angerufen und ihre eigene Darstellung der Ereignisse abgeliefert hatte. Lucy
wollte nicht schon wieder Gefühle und Energie in eine sinnlose
Auseinandersetzung investieren. Ihre Eltern würden sich sowieso wie immer auf
Alices Seite stellen und von Lucy erwarten, dass sie ihren Mund hielt und in
den Hintergrund trat.
Die Marinns
waren in eine Eigentumswohnung in der Nähe des California Institute of
Technology, kurz Caltech, gezogen, wo Philipp in Teilzeit unterrichtete. Alle
zwei bis drei Monate kamen sie nach Seattle, um ihre Töchter zu besuchen und
mit ihren Freunden und ehemaligen Kollegen Kontakt zu halten. Bei ihrem
letzten Besuch hatten sie sich darüber geärgert, dass ein großzügiger Scheck,
den sie Lucy zum Geburtstag gegeben hatten, komplett für ein neues Jetboot für
Kevin draufgegangen war.
„Ich hatte
gehofft, du kaufst dir mal was Nettes für dich”, hatte ihre Mutter sie
unter vier Augen sanft getadelt. „Oder lässt deinen Wagen mal richtig in Ordnung
bringen und neu lackieren. Irgendetwas, das dir zugutekommt.”
„Aber es
kommt mir zugute, wenn Kevin sich freut.”
„Nachdem du
den Scheck bekommen hast, wie lange hat er gewartet, bis er erwähnt hat, er
hätte gern ein Jetboot?”
Genervt von
dieser Frage, meinte Lucy beiläufig: „Oh, er hat es gar nicht erwähnt. Das war
ganz und gar meine Idee.”
Das
entsprach natürlich nicht der Wahrheit, und ihre Mutter hatte ihr sowieso
nicht geglaubt. Spätestens in diesem Moment war Lucy klar geworden, dass ihre
Eltern ihren Freund ablehnten, und das hatte sie beunruhigt. Jetzt fragte sie
sich, was sie wohl davon halten mochten, dass er der einen Schwester zugunsten
der anderen den Laufpass gab. Sie hegte den Verdacht, dass ihre Eltern sich
irgendwie damit arrangieren würden, wenn damit ein Wunsch von Alice in
Erfüllung ging und sie glücklich wurde.
Als jedoch
ihre Mutter aus Pasadena anrief, reagierte sie ganz anders, als Lucy erwartet
hätte.
„Ich habe
gerade mit Alice gesprochen. Sie hat mir erzählt, was passiert ist. Das glaube
ich einfach nicht.”
„Ich konnte
es erst auch nicht fassen”, bestätigte Lucy. „Erst als Kevin mich
aufforderte, auszuziehen, habe ich begriffen.”
„Gab es
irgendwelche Warnzeichen? Hattest du eine Ahnung, was auf dich zukommt?”
„Nein,
nicht die leiseste.”
„Alice
sagt, du und Kevin, ihr hättet Probleme miteinander gehabt.”
„Offensichtlich”,
meinte Lucy. „Das Problem, das wir hatten, war augenscheinlich Alice.”
„Ich habe
Alice klargemacht, dass euer Vater und ich unglaublich enttäuscht von ihr sind
und wir dieses Benehmen auf keinen Fall unterstützen können. Zu ihrem eigenen
Besten.”
„Tatsächlich?”,
fragte Lucy nachkurzem Schweigen.
„Warum
klingst du so überrascht?”
Leicht
befremdet lachte Lucy auf. „Mom, ich kann mich nicht entsinnen, jemals von dir
oder Dad gehört zu haben, dass ihr enttäuscht seid von etwas, das Alice getan
hat. Ich dachte eigentlich, ihr würdet mich bitten, Alices Beziehung zu Kevin
zu akzeptieren und über die Sache hinwegzukommen.”
„Du hast
zwei Jahre mit diesem Mann zusammengelebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass
du einfach so darüber hinwegkommen kannst.” Lange blieb es still
in der Leitung. „Ich verstehe nicht, wie du auf die Idee kommst, dein Vater
und ich fänden es gut, was Alice tut.”
Ihre Mutter
klang so ehrlich verwundert, dass Lucy unwillkürlich ungläubig auflachte.
„Euch hat immer alles gefallen, was
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