Zaubersommer in Friday Harbor
und Glaskuppel mühelos aus dem Schrank und stellte beides auf die
Granitarbeitsplatte. Groß war er, aber knochig, als hätte er seit Wochen nichts
Anständiges mehr zu essen gehabt. Der leicht grausame Zug in seinem Gesicht
konnte nicht davon ablenken, dass er unverschämt gut aussah. Vielleicht war es
auch gar kein grausamer Zug, sondern Verbitterung. Er hatte ein Gesicht, das
die meisten Frauen attraktiv finden mochten, aber Zoë machte er nervös.
Nun ja, die
meisten Männer machten sie nervös.
Zoë dachte,
Alex werde die Küche verlassen, nachdem er seine Aufgabe erledigt hatte. Sie
hoffte es jedenfalls. Aber er blieb da, eine Hand auf die Arbeitsplatte
gestützt, sodass seine teure Armbanduhr im Licht, das durch die
Kassettenfenster hereinfiel, funkelte.
Sie
versuchte, ihn zu ignorieren, und stellte die Kuchenplatte neben das Blech mit
den Muffins. Sorgfältig nahm sie jeden einzelnen Muffin vom Blech und setzte
ihn auf die Platte. Der Duft von heißen Beeren, weißem Zucker und
Butterstreuseln breitete sich schmelzend süß in der Küche aus. Sie hörte, wie
Alex einmal tief einatmete. Und noch einmal.
Als sie ihm
einen vorsichtigen Blick zuwarf, bemerkte sie die dunklen Ringe unter seinen
lebhaft blaugrünen Augen. Er sah aus wie jemand, der seit Monaten nicht
geschlafen hatte. „Sie können jetzt gehen”, sagte Zoë. „Sie müssen nicht
bleiben und plaudern.”
Alex machte
sich nicht die Mühe, sich für seine Unhöflichkeit von vorhin zu entschuldigen.
„Womit sind sie gefüllt?”, fragte er in anklagendem misstrauischen Ton.
Zoë war so
verdutzt, dass sie kaum sprechen konnte. „Blaubeeren. Nehmen Sie einen, wenn
Sie wollen.”
Er
schüttelte den Kopf und griff nach seinem Kaffee.
Seine Hand
zitterte. Die dunkelbraune Flüssigkeit in der Porzellantasse schwappte
unübersehbar. Sofort senkte Zoë den Blick. Was führte dazu, dass die Hand eines
Mannes so zitterte? Ein nervliches Problem? Alkoholmissbrauch? Irgendwie war
dieses Zeichen von Schwäche bei einer körperlich so imponierenden Person viel
bewegender, als wenn er kleiner gewesen wäre.
Trotz
seiner Gereiztheit weckte er sofort Zoës
Mitgefühl. Sie hatte noch nie an einem weinenden Kind, einem verletzten Tier,
einem einsam oder hungrig wirkenden Menschen vorbeigehen können. Vor allem
Letzteres, denn wenn es etwas gab, das Zoë lieber tat als alles andere, dann
war es, Leuten etwas zu essen zu geben. Sie liebte das offensichtliche
Vergnügen, das Menschen daran hatten, etwas Leckeres zu schmecken. Etwas, das
mit viel Liebe und Sorgfalt zubereitet und nahrhaft war.
Wortlos
legte sie einen Muffin auf Alex' Untertasse, solange er die
Tasse noch in der Hand hielt. Ohne ihn anzusehen, setzte sie weiter die Muffins
vom Backblech auf die Kuchenplatte. Sie hielt es durchaus für wahrscheinlich,
dass er ihr die Gabe vor die Füße warf oder eine abfällige Bemerkung machte.
Doch er schwieg.
Aus dem
Augenwinkel sah sie, dass er den Muffin nahm. Dann verließ er die Küche mit
einem barschen Murmeln, das vermutlich so viel wie Auf Wiedersehen heißen
sollte.
Alex
ging hinaus auf die
Vorderveranda und achtete dabei darauf, dass die Tür nicht hinter ihm ins
Schloss fiel. Den Muffin hielt er wie eine Kostbarkeit in der Hand. Das
Förmchen aus ungebleichtem Papier war buttergetränkt, und Streusel saßen wie
Kieselsteine auf dem Gebäckstück.
Er setzte
sich auf einen Korbstuhl und beugte sich über den Muffin, als könnte jemand
kommen und ihm die Köstlichkeit wegnehmen.
In letzter
Zeit hatte er Probleme mit dem Essen. Kein Appetit, nichts konnte ihn in
Versuchung bringen, und wenn er es tatsächlich schaffte, einen Bissen zu nehmen
und zu kauen, dann schnürte sich ihm der Hals zu, bis er kaum noch schlucken
konnte. Ständig war ihm kalt, und er brauchte die kurzfristige Wärme, die der
Alkohol ihm spendete, brauchte mehr davon, als sein Körper verkraften konnte.
Jetzt, wo die Scheidung hinter ihm lag, gab es eine Menge Frauen, die ihm
jeden Trost anboten, den er wollte, aber er hatte einfach kein Interesse.
Er dachte
an die kleine Blonde in der Küche, die auf beinah komische Weise schön war – mit ihren großen Augen, dem perfekt geformten Mund ... und den üppigen Kurven
unter ihrer sorgsam zugeknöpften Kleidung. Nein, sie entsprach ganz und gar
nicht seinem Geschmack.
Als er
seinen ersten Bissen von dem Muffin nahm, überwältigte ihn beinah die Mischung
aus Säure und Süße, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
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