Zaubersommer in Friday Harbor
Atelier
aufkreuzte. Er hatte zwei Papiertüten von Market Chef mit, die beide
gut gefüllt aussahen. „Sandwiches”, kündigte er an.
„Ich habe
nicht mit dir gerechnet”, rief Lucy. Dann huschte ein neckisches Lächeln
über ihr Gesicht. „Du kannst dich einfach nicht von mir fernhalten.”
Sam warf
einen Blick auf den Stapel Skizzen auf dem Tisch. „Ziehst du das hier wirklich
dem Faulenzen in netter Gesellschaft vor?”
Lucy
lachte. „Nun ja, es war natürlich sehr schön, von vorn und hinten bedient zu
werden ... aber es tut gut, wieder arbeiten zu können.”
Sam stellte
die Tüten auf den Werktisch und trat neben sie, um sich den Entwurf genauer
anzusehen. Eingehend betrachtete er die Zeichnung. „Das ist schön.”
„Das wird
umwerfend”, erklärte Lucy. „Du hast keine Vorstellung, wie viel die
Wirkung des Glases ausmacht.”
Um seine
Mundwinkel zuckte es leicht. „So wie ich dich kenne, bin ich auf alles
gefasst.” Nachdem er die Zeichnung mehrere Minuten auf sich hatte wirken
lassen, sagte er: „Zum Einzug habe ich dir ein Geschenk mitgebracht. Ich dachte
mir, du möchtest es vermutlich lieber hierbehalten.”
„Du hättest
mir nichts schenken müssen.”
„Du wirst
es eh noch eine ganze Weile nicht benutzen können.”
„Wo ist
es?”
„Bleib
sitzen. Ich bringe es rein.”
Lucy
wartete gespannt, während Sam wieder nach draußen ging. Ihre Augen weiteten
sich, als er ein Fahrrad hereinschob. Eine riesige Schleife schmückte den
Lenker. „Das glaube ich nicht. Oh, Sam! Du bist der süßeste, süßeste ...”
Sie brach mit einem Jauchzer ab, als sie sich den fantastisch restaurierten,
dunkelgrün lackierten und mit weißen Schutzblechen versehenen Oldtimer ansah.
„Das ist
eine Ladies Schwinn Hornet von 1954”, erläuterte Sam und schob das
Fahrrad zu ihr.
Lucy ließ die
Finger über die kleinen rostigen Stellen, die dicken schwarzen Reifen und den
weißen Ledersattel gleiten. „Es ist vollkommen”, sagte sie. Zu ihrer
Überraschung klang ihre Stimme kratzig, und Tränen verschleierten ihr die
Sicht. Denn ein Geschenk wie dieses konnte ihr nur jemand machen, der sie
verstand. Jemand, der sie durchschaut hatte. Und das zeigte ihr, dass Sam
wirklich etwas für sie empfand, ob er wollte oder nicht. Sie war überrascht,
wie viel ihr das bedeutete und wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, dass er
sie mochte.
„Danke. Ich
...” Sie stand auf, schlang ihre Arme um ihn und drückte ihr Gesicht an
seine Schulter.
„Nicht der
Rede wert.” Unbehaglich tätschelte Sam ihr den Rücken.
„Kein Grund, sentimental zu werden.”
Sie spürte,
wie sehr er sich verspannte, und begriff, woran es lag. „Das ist so unglaublich
lieb von dir. Vermutlich das schönste Geschenk, das mir jemals jemand gemacht
hat”, sagte sie betont leichthin. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln,
reckte sich zu ihm hoch und küsste ihn auf die Wange. „Entspann dich. Ich
liebe dich immer noch nicht.”
„Gott sei
Dank.” Er grinste sie an und wurde sichtlich lockerer.
In den
nächsten zwei
Monaten beschäftigte Lucy sich mit ihrer Arbeit. Sam schaute immer wieder mal
vorbei, angeblich, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, aber
seine Besuche endeten fast immer damit, dass sie gemeinsam essen gingen. Obwohl
es hinterher unzählige Male zu romantischen Zwischenspielen in Lucys Wohnung
kam, war Sex nichts, was Sam forderte oder automatisch erwartete. Er schien
Spaß daran zu haben, sich mit ihr zu unterhalten und einfach mit ihr zusammen
zu sein, ob sie nun am Ende miteinander schliefen oder nicht.
Eines
Nachmittags brachte er Holly mit in Lucys Atelier, und Lucy half dem Mädchen,
aus Glas und Kupferfolie einen einfachen Suncatcher zu basteln. An einem
anderen Tag gingen sie gemeinsam mit Holly zum Skulpturenpark. Sam war im Nu
von mindestens einem halben Dutzend wild kichernder Kinder umgeben, mit denen
er versuchte, die Posen der Statuen nachzustellen.
Lucy fand
Sams Verhalten ausgesprochen verblüffend. Obwohl er doch wild entschlossen
war, emotionalen Bindungen aus dem Weg zu gehen, handelte er wie jemand, der
sich nach Nähe sehnte. Ihre Unterhaltungen landeten oft bei sehr persönlichen
Themen, und sie erzählten einander, was und wie sie dachten, und teilten ihre
Kindheitserinnerungen. Je mehr Lucy vom Familienleben der Nolans erfuhr, desto
mehr Mitgefühl empfand sie für Sam. Kinder von Alkoholikern wuchsen oft mit
einer gehörigen Portion Misstrauen gegenüber intensiven
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