Zaubersommer in Friday Harbor
elektrische Kaffeemühle und gab anschließend das Pulver in
den Filter, während ihr Vater die Glaskanne mit Wasser füllte. „Und? Was
hältst du von Sam?”, fragte Lucy.
„Ich mag
ihn. Ein kluger Bursche. Er scheint solide und unabhängig zu sein, und er hat
über meinen Heisenberg-Witz gelacht. Ich frage mich nur, warum ein Mann mit so
viel Verstand seine Zeit mit einem Weinberg verschwendet.”
„Das ist
keine Verschwendung.”
„Tausende
von Menschen in aller Welt produzieren Wein. Es bringt doch
nichts, noch einen herauszubringen, wenn es schon so viele Weine gibt.”
„Ebenso gut
könnte man behaupten, niemand solle noch Kunstwerke schaffen, weil es schon so
viele gibt.”
„Kunst – oder Wein – bringt den Menschen nicht solchen Nutzen wie die
Wissenschaft.”
„Sam würde
das Gegenteil behaupten.” Sie sah zu, wie ihr Vater das Wasser in die
Kaffeemaschine goss und sie einschaltete.
Das Gerät
begann zu klicken und zu dampfen, während es den Kaffee brühte.
„Viel
wichtiger ist doch die Frage, was du von ihm hältst”, bemerkte ihr Vater.
„Ich mag
ihn auch. Aber es besteht keine Chance auf eine ernsthafte Beziehung. Wir haben
beide Pläne für die Zukunft, die den jeweils anderen nicht einschließen.”
Ihr Vater
zuckte die Achseln. „Wenn du seine Gesellschaft genießt, schadet es nichts,
Zeit mit ihm zu verbringen.”
Einen
Moment schwiegen sie beide und lauschten dem friedlichen Gurgeln und Gluckern
der Kaffeemaschine.
„Morgen besucht
ihr Alice und Kevin?”, fragte Lucy.
Ihr Vater
nickte, und sein Gesicht verfinsterte sich. „Du weißt, dass diese Ehe – wenn es
denn überhaupt zur Hochzeit kommt – zum Scheitern verurteilt ist.”
„Das kannst
du nicht mit Sicherheit sagen”, widersprach Lucy, obwohl sie ihm insgeheim
recht gab. „Menschen sind immer für eine Überraschung gut.”
„Ja, das
stimmt”, gab er zu. „In meinem Alter allerdings nicht mehr oft. Wo stehen
die Kaffeebecher?”
Zusammen
suchten sie in den Küchenschränken, bis sie die Becher fanden.
„Deine
Mutter und ich, wir haben uns kürzlich unterhalten”, begann Philipp. „Ich
schätze, sie hat dir erzählt, dass ich schon einmal verheiratet war?”,
fügte er zu Lucys Überraschung hinzu.
„Ja”,
brachte Lucy mühsam hervor. „Das war ein kleiner Schock für mich.”
„Diese
unsägliche Geschichte mit dir und Alice und Kevin hat einige Dinge aufgewühlt,
mit denen deine Mutter und ich uns eine ganze Weile nicht mehr befasst
hatten.”
„Ist das
schlimm?”, fragte Lucy vorsichtig nach.
„Keine
Ahnung. Ich war nie der Meinung, dass man in einer Beziehung über alles reden
muss. Manches lässt sich nicht durch ein Gespräch bereinigen.”
„Ich
vermute, dass diese Dinge mit ... ihr zu tun haben?” Aus irgendeinem Grund
brachte Lucy es nicht fertig, von deiner ersten Frau zu sprechen.
„Ja. Ich
liebe deine Mutter. Ich würde nie Vergleiche anstellen. Die andere Beziehung
war ...” Er stockte – nachdenklich und angespannt, wie sie ihn noch nie
erlebt hatte. „Das war eine Klasse für sich.”
„Wie hieß
sie?”, fragte Lucy sanft.
Seine
Lippen öffneten sich, als wollte er antworten, aber dann schüttelte er den Kopf
und schwieg.
Was musste
sie für eine Frau gewesen sein, fragte sich Lucy, wenn er selbst jetzt noch,
Jahrzehnte nach ihrem Tod, nicht einmal ihren Namen aussprechen konnte?
„Die
Gefühlsstärke ...”, sagte er nach einer Weile, als spräche er mit sich
selbst. „Der Eindruck, dass zwei Menschen so absolut füreinander bestimmt sind,
dass sie zwei Hälften eines Ganzes sind. Das war ... außergewöhnlich.”
„Du bereust
es also nicht”, meinte Lucy.
„Und ob ich
es bereue.” Ihr Vater sah sie an, seine Augen glitzerten, und seine Stimme
klang belegt, als er hinzufügte: „Es ist besser, so etwas nicht
kennenzulernen.”
Sprachlos
angesichts dieses seltenen Gefühlsausbruchs humpelte Lucy zur
Besteckschublade, um Kaffeelöffel zu holen. Wenn er Berührungen schätzen würde,
hätte sie ihn jetzt in die Arme genommen. Aber seine zugeknöpfte Höflichkeit
hatte ihn immer wie ein Panzer umgeben, der Gesten der Zuneigung abwehrte.
Jetzt
begriff sie etwas, was sie noch nie verstanden hatte: Die Ruhe ihres Vaters,
seine unendliche Selbstbeherrschung hatten nichts mit innerem Frieden zu tun.
Nachdem die Marinns zurück in Kalifornien
waren, rief Lucys Mutter an und erzählte Lucy, der Besuch bei Alice und Kevin
sei ziemlich genauso verlaufen wie
Weitere Kostenlose Bücher