Zebraland
tut er das nicht. Ich wende mich ab.
»Weißt du, das tut mir gut, was tun zu können. Lenkt mich von den ganzen Gedanken ab«, sagt Philipp in meinem Rücken.
Ich nicke und packe einen Karton aus. Eine kitschige vergoldete Christbaumspitze kommt zum Vorschein.
»Meine Eltern meinen, ich darf hier einziehen, wenn ich es schaffe, die Bude auszumisten. Stell dir vor, meine erste eigene Wohnung!« Er lacht vorsichtig, als sei er unsicher, ob es noch erlaubt ist. Als müsste er erst ausprobieren, ob er es noch kann.
»Was sagst du dazu, Judith? Hörst du mir eigentlich zu?«
Aber ich habe einen weiteren Pappkarton geöffnet und starre auf den Inhalt.
»Was ist es denn diesma l – Weihnachtsengel mit Echthaar?« Philipp springt vom Stuhl und beugt sich über den Karton. »Komm schon, so hässlic h … oh Scheiße.« Er stockt. Dann flüstert er: »Ist die echt?«
Zwischen dem Packpapier schimmert uns kalt und metallisch der Lauf einer Pistole entgegen. Keiner von uns beiden wagt es, sie anzurühren.
»Zumindest sieht sie verdammt echt aus.« Unwillkürlich habe ich ebenfalls die Stimme gesenkt. »Guck mal, da sind auch Patronen dabei. Hat dein Opa einen Waffenschein?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Sieht irgendwie alt aus. Meinst du, die ist noch aus dem Krieg?«
Phil antwortet nicht. Er kaut auf seiner Unterlippe herum, während ich den Deckel des Pappkartons untersuche. »Krippe«, lese ich die Beschriftung vor. »Also unsere Krippe sieht anders aus. Wenn du mich fragst, ist das ein ziemlich gutes Versteck für eine Waffe.«
»W-was willst du damit sagen?«, fährt Phil mich an.
Ich halte vorsichtshalber den Mund.
Da seine Eltern beide berufstätig sind, hat sich sein Opa früher oft um Phil gekümmert, ihm bei den Hausaufgaben geholfen und ihm stundenlang von seinen Erlebnissen als Staatsanwalt erzählt. Kritik an ihm nimmt Philipp äußerst persönlich.
»Meinst du, Opa hä-hä-hätte was zu ver-b-bergen? Er hat sich n-nie irgendwas zu-sch-schulden kommen lassen!« Phil stottert, ich weiß, wie sehr er das hasst. Ohne mich anzusehen, verschließt er den Karton, dann verstaut er ihn wieder im obersten Fach des Schrankes. »M-mein O-Opa ist k-kein sch-schlechter M-Mensch«, sagt er fest.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Wann ist man denn ein schlechter Mensch? Ist man ein schlechter Mensch, wenn man ein Mädchen totgefahren hat? Selbst wenn man es nicht gewollt hat, wenn man alles dafür geben würde, es rückgängig machen zu können?
Ich weiß es nicht. Der Unfall hat alles ins Wanken gebracht.
Langsam gehe ich zurück nach Hause. Ich hatte gehofft, dass ich mich besser fühlen würde, nachdem ich mit den anderen gesprochen habe. Dass wir uns irgendwie gegenseitig helfen könnten, mit dem Geschehenen fertig zu werden.
Ich denke an Phil und Anouk und ob sie jetzt wohl zusammensitzen, ganz eng beieinander, unter einem gläsernen Kuheuter, und Schokokekse essen.
Plötzlich fühle ich mich noch verlorener als zuvor.
Ziggy
Z: »War irgendwie unheimlich, Yasmins Tasche in meinem Zimmer zu haben. Ich hatte sie im hintersten Winkel meines Schrankes versteckt, unter T-Shirts, die ich seit Jahren nicht mehr angehabt hatte. Aber trotzde m … ich spürte die ganze Zeit, dass sie da war. Ich hab sogar von dem Ding geträumt. Im Traum öffnete ich den Reißverschluss und fand Yasmins Kopf darin. Langsam tauchte ihr Oberkörper auf, wuchs aus der Tasche heraus: Arme, Hüfte, Bein e … bis nur noch ihre Zehenspitzen die Tasche berührten. Wie ein Flaschengeist aus dem Märchen.«
E: »Ganz schön unheimlich. Aber vielleicht gibt’s ja auch ’ne positive Deutung, Mohn: Flaschengeister erfüllen dir drei Wünsche, wenn du sie befreist.«
Z: »Irrtum. Die Geister sind wütend, weil sie als Schatten ihrer selbst in so ’ne Scheißflasche verbannt wurden. Die wollen Rache. Und wenn du nicht aufpasst, bringen sie dich um.«
Eigentlich sah sie ganz harmlos aus. Eine stinknormale Handtasche mit kurzen Henkeln.
Die Tasche einer Toten.
Ich hatte sie jetzt schon fünf Tage bei mir. »Sieh zu, dass du das Ding loswirst«, hatte Philipp gesagt. Der hatte leicht reden! War ich etwa ein Mafia-Killer, für den es normal war, Beweisstücke zu vernichten, wie für andere Leute den Müll rauszubringen? Das Ding loswerde n – wie denn bitte?! Ich starrte die verdammte Tasche an und überlegte.
Ich hätte sie einfach in eine der Mülltonnen vor unserem Wohnblock werfen können. Oder im Wald vergraben.
Nein,
Weitere Kostenlose Bücher