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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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wegwerfen schied schon mal aus. Ich hatte Schiss, dass mich jemand dabei sehen könnte, wie ich das Ding in einem der Müllcontainer entsorgte. Außerdem war das irgendwie so würdelos.
    Und vergrabe n … Wie lange dauerte es wohl, bis Leder verrottete? Was, wenn die Polizei mit Spürhunden danach suchte? Vermutlich litt ich schon unter Verfolgungswahn. Aber das Ding sollte weg, endgültig weg, auf Nimmerwiedersehen.
    Schließlich kam ich darauf, es draußen im Baggersee zu versenken. Das schien mir die sicherste und sauberste Lösung zu sein.
    Kurz entschlossen packte ich die Tasche, mit spitzen Fingern, als könnte sie mit ihrem Reißverschlussmaul nach mir schnappen, und steckte sie in meinen Rucksack. Dann schlich ich mich aus der Wohnung.
    Draußen regnete es, so ein stiller Sommerregen. Das machte mir nichts aus. Ich streifte mir die Kapuze meines Sweatshirts über, schloss mein Fahrrad auf und radelte los.
    Nach zwanzig Minuten war ich draußen beim Baggersee angekommen. Ich stellte mein Fahrrad in dem kleinen Wäldchen ab. Die Luft war abgekühlt, es duftete würzig nach Kiefernnadeln.
    Ich trat hinaus auf die Liegewiese, wo sich sonst Sonnenbadende rekelten. Doch heute lag alles verlassen da. Von einem vergessenen Sonnenschirm tropfte Wasser. Auch die Kreidefelsen, die den See halb umschlossen, waren dunkel vor Nässe. Zwischen den steil abfallenden Ufern schimmerte flaschengrün das Wasser.
    Der See war sehr tief. Ich brauchte die Tasche einfach nur weit rauszuschleudern. Aber zuvor musste ich dafür sorgen, dass sie auch sank. Wenn ich ein paar Kieselsteine hineinfüllen würd e …
    Ich hatte die Tasche bisher noch nicht geöffnet, weil das alles irgendwie wirklicher machte. Da drin waren Yasmins persönliche Sachen. Ich hatte panische Angst davor, mich damit auseinanderzusetzen, mit dem Menschen, den wir getötet hatten.
    Doch da musste ich jetzt wohl durc h … Mit einem Ruck zog ich den Reißverschluss auf. Natürlich kam Yasmin nicht als Flaschengeist herausgeschossen wie in meinem Albtraum.
    Es war gar nicht viel in der Tasche: ein Abdeckstift, ein Haustürschlüssel, ein Kugelschreiber. Ein halb zerkrümelter Keks und ein kleines Buch. Der Einband war hellgrün mit aufgedruckten Sonnenblumen.
    Ich blätterte das Büchlein flüchtig durch: Es war ungefähr zur Hälfte vollgeschrieben, einige Seiten auf Türkisch, doch die meisten auf Deutsch. Da waren auch viele Zeichnungen, einfach mit Kuli. Aber richtig gut, Tiere und so. Auf einer Seite war sogar ein Rosenblatt aufgeklebt. Ob das eine Art Tagebuch war?
    Mit den Händen schaufelte ich Kiesel in die Tasche. Dabei schaute ich mich ständig um. Ich hatte Angst, jemand könnte mich beobachten. Aber zum Glück war niemand zu sehen. Bei diesem Wetter blieben wohl selbst die hartnäckigsten Spaziergänger zu Hause.
    Voll mit kleinen Steinen war die Tasche ziemlich schwer. Ich ging ganz nah an die Uferkante und schwang die Tasche an den Henkeln ein paarmal über meinem Kopf. Als ich richtig viel Schwung hatte, ließ ich los.
    Es war ein guter Wurf. Weit draußen schlug die Tasche klatschend auf der Wasseroberfläche auf und sank. Kurz darauf lag der See wieder glatt und friedlich da. Unser Geheimnis schlummerte tief unten auf dem Grund.
    Den ganzen Weg zurück nach Hause spürte ich Yasmins kleines Buch heiß in meiner Hosentasche wie ein schwelendes Streichholz.

Judith
    Die Schürfwunde an meinem Arm heilt langsam. In absehbarer Zeit wird nichts mehr davon zu sehen sein. Noch nicht mal eine Narbe wird bleiben.
    Ich versuche so weiterzumachen wie vorher.
    Jeden Morgen Punkt halb zehn gehe ich auf den Sportplatz, um zu trainieren. Doch so schnell ich auch laufe, sosehr ich mich auch abmühe, die Tage vergehen mit quälender Langsamkeit.
    Dieses Gefühl von Stillstand macht mich ganz verrückt. Ich war noch nie gut im Warten. Es kommt mir so vor, als sei das in Wahrheit alles, was ich gerade tue: warten, nur warten. Auf das Ende der Sommerferien. Darauf, dass sich mein Leben endlich wieder normal anfühlt.
    Nach dem Training bin ich oft bei Phil, um ihm und Anouk zu helfen, ihr zukünftiges Wohnzimmer zu streichen. Ja, IHR Wohnzimmer, in dem Anouk quasi zum Inventar gehören wird und ich höchstens mal auf Besuch vorbeikommen werde.
    Warum ich mir das Pärchen-Getue freiwillig gebe
    1.) Alles, was mich von dem Unfall ablenkt, ist gut.
    2.) Traurig, aber wahr: Ich habe sonst nicht so viele Leute. Die Mädchen aus meinem Team, klar. Aber das sind keine

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