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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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war auch er weg, wieder verschwunden in dem Pueblo.

A NNIE M AY UND Z EBULON rochen Broken Elbow schon, bevor sie es sahen. Was noch vor einem Jahr ein Handelsposten mit ein paar Hütten gewesen war, war jetzt eine lange, zerfurchte Straße mit offenen Abwasserrinnen, auf der ein schreckliches Chaos herrschte. Betrunkene Goldsucher schrien in einem Dutzend verschiedener Sprachen durcheinander, ein nackter Chinese kroch, von einer kreischenden Hure verfolgt, an ihnen vorbei in eine Gasse, halbtote Ochsen zogen überladene Lastkarren durch Schlamm und schmelzenden Schnee, vorbei an Schildern, auf denen Waren zu unverschämten Preisen feilgeboten wurden: Stiefel $ 30, Mehl $ 35, Decken $ 30, Wäsche $ 20. Auf jedem nicht bewohnten Fleckchen Erde wühlten Schweine in stinkenden Abfallhaufen, überall lagen Bergbaugeräte, tote Hunde, kaputte Leiterwagen, Reserveräder, Fässer und Bauholz herum, und in behelfsmäßigen Korralen standen Maultiere und Pferde knietief im Mist. Weiter weg, an den Ufern eines schnell fließenden Flusses, hockten Hunderte von Männern in hohen Stiefeln – vor allem Indianer, Mexikaner und Chinesen – an wiegenähnlichen Goldwaschrinnen, während andere weiter oben in einem Canyon die Erde in steilen Schächten mit Pickeln und Schaufeln bearbeiteten.
    Am Ende der Straße saßen sie vor einem zweigeschossigen Handelsposten ab.
    In dem hallenartigen Raum liefen Angestellte hin und her und trugen zusammen, was die Kunden auf Spanisch, Französisch oder Englisch verlangten: Gewehre, Konserven, landwirtschaftliche Geräte, Wagenkästen oder Viehfutter in Säcken. Einige der älteren Angestellten winkten Annie May zu, als sie auf einen dicklichen jungen Mann zuging, der an einem hohen Pult saß und Beträge in ein riesiges Hauptbuch eintrug.
    Annie May richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, konnte aber trotzdem kaum über das Pult schauen.
    »Ich bin Annie May Shook, und ich bin hier, um meine Felle zu verkaufen.«
    Der Angestellte nickte, würdigte sie aber keines Blickes, sondern nahm seine Brille ab und rieb sich die überanstrengten rotgeränderten Augen.
    Annie May klopfte mit dem Schaft ihrer Schrotflinte gegen das Pult. »Ich will beide Ohren, wenn ich rede, Mister. Wo ist der Major?«
    Der Angestellte setzte sich in aller Ruhe die Brille auf die Nase. »Major Poultry hat die Firma letzten Winter verkauft. Sie müssen jetzt mit mir verhandeln.«
    »Hab was übrig gehabt für den Major«, sagte Annie May. »Der war immer fair mit uns Leuten aus den Bergen.«
    »Geschäft ist Geschäft«, sagte der Angestellte halbwegs geduldig. »Egal, wer kauft und wer verkauft.«
    Annie May kratzte sich am Kopf, holte ihre Pfeife hervor und machte Anstalten, sie anzuzünden, steckte sie dann aber doch wieder in ihren Bisonfellumhang zurück. »Also gut. Wie ist der Preis für Felle?«
    Der Angestellte schaute auf Annie May hinab wie auf eine lästige Fliege. »Der Pelzmarkt liegt am Boden. Wird sich auch nicht mehr erholen. Das heißt, ich gebe Ihnen fünfzig Cent pro Fell. Entweder Sie schlagen ein, oder Sie lassen es bleiben.«
    Sie sah verständnislos zu ihm hoch. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    »Wir kriegen die Zahlen aus St. Louis, Madam. Bar oder Tausch.«
    Annie May wurde laut. »Zwei Dollar pro Fell, Mister St. Louis. Und meinen üblichen Kredit auf Tabak, Patronen und Mehl. So war es die letzten dreißig Jahre, und so bleibt es auch. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Der Angestellte klappte hörbar das Hauptbuch zu. »Tut mir leid, das ist unmöglich.«
    »Alsdann, Mister St. Louis, dann muss Ihnen ein altes Beifußhuhn aus den Bergen mal zeigen, was alles möglich ist.«
    Annie May zielte mit ihrer Flinte auf den Angestellten, dann aufs Fenster, dann auf eine Reihe Gurkengläser.
    Der Angestellte wich in Panik zurück und prallte auf Zebulon, der ihn gegen ein Regal mit Konserven stieß, so dass er mitsamt den Dosen zu Boden krachte.
    Schon besser, dachte Zebulon und sah sich in dem Raum um. Er griff hinter die Theke, schnappte sich einen Krug Whiskey, entkorkte ihn und trank einen tüchtigen Schluck, dann warf er den Krug Annie May zu, die ihn mit einer Hand auffing. Als der Angestellte sich vom Boden aufrappelte, zerschlug sie den Krug auf seinem Schädel.
    »Ein Hurra auf die Berge!«, rief sie.
    Sie hievte sich auf einen Tisch und schoss mit ihrer Flinte in die Luft. Die Schrotkugeln trafen eine von der Decke hängende Gaslampe, die explodierte, als sie am Boden aufschlug, und fauchende

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