Zebulon
»Uaaaaaaaaaaa…! Uaaaaaaaaaaa…! Uaaaaaaaaaaa…!«
Am Talausgang schaute er ein letztes Mal zurück. Es war nur noch ein dünnes Rauchwölkchen zu sehen, das der Sonne entgegentrieb.
Von da an war es ein schneller Ritt über die Hochwüste Richtung Mexiko, mit einem Aufenthalt in Alamogordo, lang genug, um die dortige Bank zu überfallen – er tat das unter völliger Missachtung seiner Sicherheit, sodass er nicht nur ohne einen Kratzer entkam, sondern auch mit einer halben Satteltasche voller Goldmünzen. Er ritt weiter nach Südosten, änderte seine Richtung, als er ferne Gewehrschüsse hörte, und wich einem Trupp White Mountain Apaches aus, den ein Zug schwarzer Kavallerie in einem Talkessel umzingelt hielt. Tags darauf überquerte er den Rio Grande, dann ritt er weiter nach Osten, durch Chihuahua zum Golf von Mexiko und nach Veracruz hinunter, wo niemand fragte oder sich darum scherte, wer er war oder woher er kam.
In Veracruz nahm er ein Zimmer im besten Hotel, gab sein Geld für die schwüle Leidenschaft einer einarmigen Saloonsängerin aus, die mit seiner geschundenen Seele spielte wie eine erfahrene Katze, bevor sie ihre Beute umbringt. Mach dir nichts draus, sagte er sich. Miranda Serenade, so ihr Künstlername, stillte die Sehnsüchte seines Körpers, wenn auch nicht die Verwirrung seines Herzens. Nach einer Woche zog er in Mirandas Zimmer über dem Saloon, das er nur nachts verließ, um nach unten zu gehen, wo er zwanghaft spielte und in jeder Vortragspause seiner sentimental singenden Geliebten eine Lokalrunde schmiss.
Miranda war von ihm angetan, anfangs zumindest, weil er gut genug aussah und freigebig genug war, um ihre ständigen Sorgen wegen des Geldes und ihres fortgeschrittenen Alters zu lindern. Er kaufte ihr eine schwarze Perlenkette und eine elegante Pferdekutsche und verdrehte ihr den Kopf mit phantastischen Plänen. Der großartigste bezog sich auf ein verrücktes Vorhaben, von dem er zufällig am Hafen gehört hatte; es ging um eine Gruppe Männer unter der Führung eines General Walker, allesamt altgediente Abenteurer, die sich vorgenommen hatten, Nicaragua zu erobern – ein Vorhaben, das, wie er ihr versicherte, mit Sicherheit von Erfolg gekrönt sein würde. Sie würde ständig bei ihm sein, versprach er ihr, als seine Muse, seine feurige Göttin, sogar seine Ministerin oder Kulturkönigin, falls sie dazu eine Neigung verspürte. Sie würden in Léon oder Granada einen Palast bewohnen, mit allem Prunk europäischer Könige. Sie würde ihren eigenen Salon haben, vielleicht sogar zwei, und genügend Dienstboten, um jeder Laune frönen zu können. Wenn sie genug davon hätten, über das Land zu herrschen, könnten sie sich nach Madrid oder Bahia oder in die neue Stadt San Francisco zurückziehen, wohin zur Zeit anscheinend die halbe Welt unterwegs war. Oder in alle drei. Das würde keine Rolle spielen. Die Wahl würde er ihr überlassen. Natürlich glaubte sie so wenig daran wie er, hatte er die Pläne doch an einem Nachmittag entworfen, nachdem sie einander lange hektisch geliebt und sich anschließend großzügige Portionen Laudanum genehmigt hatten. Mirandas Vorstellungen waren praktischer: Sie wünschte sich einen exklusiven Modistinnenladen für adelige Damen oder einen Musikpalast im Zentrum einer Stadt. Erst das Geschäft. Dann das Baby. Liebe nicht unbedingt nur als Nebensache, aber doch mit einigem Abstand erst an dritter Stelle.
Als ihm bei einem langen nächtlichen Kartenspiel das Geld ausgegangen war, sah er sich außerstande, sich Mirandas Zorn zu stellen. Er schaute auf sie hinab, wie sie schlafend dalag, in dem schwarzseidenen Nachthemd, das er ihr erst am Morgen zuvor gekauft hatte, küsste sie zum letzten Mal und zog leise die Tür hinter sich zu.
Er war zwanzig Meilen nach Texas hinein geritten, da sah er einen Steckbrief an der Wand einer Futtermittelhandlung:
Z EBULON S HOOK TOT ODER LEBENDIG GESUCHT WEGEN B ANKRAUB , M ORD , B RANDSTIFTUNG UND P FERDEDIEBSTAHL
Es war nicht die Sorge um seinen guten Ruf oder die Angst vor dem Gesetz, die ihn bewog, nach Veracruz zurückzukehren. Die schlichte Wahrheit war, dass er Miranda Serenade vermisste – ein nagendes, brennendes Gefühl, das er noch nie erlebt hatte.
Es war ein dampfiger, beklemmender Nachmittag. Miranda begrüßte ihn an der Tür. Sie trug ihr schwarzseidenes Nachthemd und zielte mit einer Derringer-Taschenpistole direkt auf sein wehes Herz.
»Soll ich dir sagen, was du bist, Zeb-u-lon? Auch bloß
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