Zehn Jahre nach dem Blitz
habe nun einmal dieses besondere Problem, ich muß mich verteidigen.« Seine Stimme war wie ein Gesang, bezaubernd und melodisch, kaum mehr als ein Hauch, so daß Nicholas sich anstrengen mußte, ihn zu verstehen. Als würde Lantano der Wirklichkeit entrücken, dachte er. Als würde er verblassen.
Und als er den dunklen Mann genauer betrachtete, erkannte er wieder die Linien des Alters, und in diesen Linien entdeckte er diesmal vertraute Züge. Als wäre Lantano, indem er alterte, ein anderer geworden.
»Nick«, sagte Lantano leise, »was haben Sie gemeint, als Sie über meine Haut sprachen?«
Nicholas antwortete nicht, er schwieg.
»Reden Sie«, forderte Lantano ihn auf.
»Sie sind ein ...« Er betrachtete Lantano aufmerksam, und jetzt entdeckte er, anstelle des Alters – einen Jüngling. Einen geschmeidigen Mann, jünger als er selbst, nicht älter als neunzehn oder zwanzig. Es muß an der Strahlung liegen, dachte Nicholas; sie zehrt ihn auf, frißt sein Knochenmark. Dörrt ihn aus, beschleunigt die Verkalkung und die Zerstörung der Zellwände und des Gewebes; er ist krank – Blair hatte doch recht.
Und doch genas der Mann wieder. Sichtbar. Es war, als ob er oszilliere, verfiel, indem er sich der Radioaktivität unterwarf, in der er zwölf Stunden am Tag leben mußte ... und wenn sie dann an ihm zehrte, zog er sich vom Abgrund zurück und schöpfte neue Kraft.
Die Zeit nagte an ihm, beeinflußte heimtückisch den Metabolismus seines Körpers. Überwand ihn aber niemals vollständig. Trug nie wirklich den Sieg über ihn davon.
»Gesegnet«, sagte Nicholas, »sind die Friedensstifter.« Nach diesen Worten schwieg er. Sie schienen das Ausmaß seines Wissens zusammenzufassen. Er konnte nicht sagen, was er wußte, was sein jahrelanges Hobby, sein Interesse für die nordamerikanischen Indianer, ihre Handwerkskunst und ihre Kultur, ihm als Grundlage für das Wissen geliefert hatte, das die anderen Ex-Tanker nicht besaßen, nicht haben konnten; ihre wahnhafte Angst vor der Strahlung, eine Angst, die sie bereits unten in ihren Tanks entwickelt hatten, und die sich jetzt noch verstärkte, hatte sie in die Irre geführt, verbarg ihnen etwas, das in seinen Augen offenkundig war.
Dennoch wunderte er sich über die Tatsache, daß Lantano sie in dem Glauben gelassen hatte, er sei krank und verbrannt. Ja, er schien wirklich siech. Vielleicht nicht seine Haut, sondern tiefer im Innern. Daher traf die Überzeugung der Ex-Tanker im Grunde genommen zu.
»Warum«, fragte Lantano, »sind die Friedensstifter gesegnet?«
Die Worte verblüfften Nicholas. Dabei hatte er selbst sie gesagt.
Er wußte nicht, was er damit gemeint hatte; der Gedanke war ihm gekommen, als er Lantano betrachtet hatte. Mehr wußte er nicht, so wie ihm einen Augenblick zuvor eine andere, der Zeit entrückte Bemerkung unvermittelt ins Bewußtsein gedrungen war: über den Mann, der verachtet und verstoßen wurde. Und dieser Mann war – nun, er wußte genau, wer dieser Mann gewesen war, auch wenn die meisten anderen Menschen im Tom Mix den Sonntagsgottesdienst nur als reine Formsache betrachtet hatten. Für ihn jedoch war es Wirklichkeit gewesen, er hatte geglaubt. So wie er daran geglaubt hatte – obwohl Furcht wohl der angemessenere Begriff dafür war –, daß es eines Tages notwendig werden würde zu wissen, auf welche Weise die nordamerikanischen Indianer überlebt hatten, weil sie eines Tages selbst vielleicht die Kunst erlernen mußten, steinerne Pfeilspitzen zu fertigen und Tierfelle zu verarbeiten.
»Besuchen Sie mich einmal in meiner Villa«, sagte Lantano. »Einige Zimmer sind schon fertig; es ist mir möglich, bequem zu leben, während die lärmenden Metallmänner aus der Ferne die Betonbrocken herbeischleppen, die einst Bankgebäude, Autobahnauffahrten und Imbißstuben bildeten ...«
Nicholas unterbrach ihn. »Kann ich dort wohnen? Anstatt hier?«
Lantano zögerte einen Augenblick, dann erwiderte er: »Natürlich. Sie können dafür sorgen, daß meine Frau und die Kinder sicher sind vor Übergriffen durch die Bleiernen und die vier benachbarten Domänenbesitzer, während ich in der Agentur bin; Sie können meine kleine Polizeitruppe beaufsichtigen.« Er wandte sich um und gab seinem Gefolge ein Zeichen. Daraufhin verließen die Bleiernen, einer nach dem anderen, den Keller.
»Sie haben wohl das große Los gezogen«, sagte Blair neidisch, »wie ich sehe.«
Nicholas sagte: »Es tut mir leid.« Er wußte nicht, warum Lantano ihm
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