Zehn Jahre nach dem Blitz
Ehrfurcht einflößte, warum er mit ihm gehen wollte. Ein Geheimnis, dachte er; etwas Rätselhaftes umgibt diesen Mann, der auf den ersten Blick alt wirkt, dann aber jünger, wie ein Mann in mittleren Jahren, und wenn man ganz nahe herankommt, ist er ganz plötzlich ein Jüngling. Eine Frau und Kinder? Dann kann er nicht so jung sein, wie es den Anschein hat. Denn David Lantano, der vor ihm den Keller verließ, schritt wie ein junger Mann von etwa zwanzig aus, der in der vollen Jugendblüte stand, bevor sie durch die Verantwortung für Frau und Kinder, die eine Heirat mit sich brachte, niedergedrückt wurde.
Zeit, dachte Nicholas. Es ist, als hätte sich eine Kraft, die uns alle in einseitiger Richtung gefangenhält, die die ganze Macht in Händen hält und uns keinen Teil daran haben läßt, für ihn zweigeteilt; er wird von ihr getrieben, doch gleichzeitig packt er sie und bewegt sich nach seinen eigenen Bedürfnissen weiter.
Er folgte Lantano und seinen Bleiernen aus dem Keller hinaus in das graue Licht eines angebrochenen Tages.
»Es gibt farbenprächtige Sonnenuntergänge«, sagte Lantano, indem er stehenblieb und zurückblickte. »Sie entschädigen uns für die Trübheit der Tage. Haben Sie Los Angeles je in den Tagen des Smog gesehen?«
»Ich bin nie an der Westküste gewesen«, entgegnete Nicho las. Und dann dachte er: aber Smog gab es in Los Angeles nur bis 1980; damals war ich noch nicht einmal geboren. »Lantano«, sagte er, »wie alt sind Sie?«
Der Mann vor ihm antwortete nicht.
Sehr hoch am Himmel zog langsam etwas vorüber. Von Osten nach Westen.
»Ein Satellit«, rief Nicholas aufgeregt. »Mein Gott, ich habe all die Jahre keinen gesehen.«
»Ein Spionagesatellit«, erklärte Lantano. »Er macht Fotografien; er ist in die Erdatmosphäre eingetreten, um klarere Aufnahmen zu erhalten. Ich möchte wissen, warum. Wer interessiert sich für dieses Gebiet? Feindliche Domänenbesitzer? Domini, die mich gerne als Leichnam sehen würden? Sehe ich aus wie eine Leiche, Nick?« Er blieb stehen. »Antworten Sie mir. Stehe ich hier vor Ihnen, Nick, oder bin ich tot? Was ist Ihre Meinung? Ist das Fleisch, das am ...« Er verstummte; dann machte er plötzlich kehrt und setzte seinen Weg fort.
Nicholas gelang es, trotz seiner Erschöpfung, die von dem Vierstundenmarsch vom Schacht nach Cheyenne herrührte, Schritt zu halten. Und während er dahintrottete, hoffte er, daß es nicht mehr weit war.
»Sie haben wohl noch nie die Villa einer Domäne gesehen, wie?« fragte Lantano.
»Ich habe nicht einmal eine Domäne gesehen«, entgegnete Nicholas.
»Dann werde ich mit Ihnen ein paar überfliegen«, versprach Lantano. »Im Flügler. Der Blick aus der Luft wird Sie interessieren; es wird Ihnen erscheinen, als hätten Sie einen Park vor sich – keine Straßen, keine Städte. Sehr hübsch, abgesehen davon, daß die Tiere alle tot sind. Alle verschwunden. Für immer.«
Sie wanderten weiter. Über Ihnen am Himmel war der Satellit fast am Horizont in dem grauen, smogähnlichen Schleier verschwunden, der, wie Nicholas wußte, noch viele Generationen hindurch in der Luft schweben würde.
23
Cencio brütete, die Lupe vor der rechten Auge, über dem Fotoausschnitt und sagte: »Zwei Männer. Zehn Bleierne. Sie gehen von den Cheyenne-Ruinen aus auf die im Bau befindliche Villa Lantanos zu. Hätten Sie gern eine Vergrößerung?«
»Ja«, erwiderte Webster Foote schnell. Die Anweisung an den Satellit, in die Erdatmosphäre einzutreten, hatte sich gelohnt; auf diese Weise würden sie über ein wesentlich besseres Foto verfügen.
Der Raum verdunkelte sich, das weiße Quadrat erschien an der Wand und nahm dann Gestalt an, als der Filmausschnitt in den Projektor geschoben wurde, der ihn gleichzeitig 1200fach vergrößerte. Das Laufwerk, sein hochgepriesenes Spielzeug, begann, zu arbeiten, und in die zwölf Gestalten kam Bewegung.
»Es ist derselbe Mann«, sagte Cencio, »der mit den beiden zerstörten Bleiernen zusammen war. Aber der Mann in seiner Begleitung ist nicht Lantano; Lantano ist ein junger Mann Anfang zwanzig. Dieser Mann ist in mittleren Jahren. Ich werde seine Unterlagen holen und Ihnen zeigen.« Er verschwand. Webster Foote betrachtete, allein geblieben, den Fortgang der Ereignisse: die zwölf Gestalten, die sich voranbewegten, den Ex-Tanker, der offensichtlich ziemlich erschöpft war und den Mann in seiner Begleitung – ganz sicher war es David Lantano. Aber es bestand kein Zweifel, daß dieser
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