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Zehn Milliarden (German Edition)

Zehn Milliarden (German Edition)

Titel: Zehn Milliarden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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aus einem gottverlassenen Nest südlich von Utrecht; und sie arbeitete seit über zehn Jahren als stolze Hure in diesem Viertel. »Was ist los? Komm rein oder verzieh dich, ich habe zu tun«, rief sie zur Tür, als niemand eintrat. Wieder ein schüchternes Kratzen. Wütend riss Nina die Tür auf, doch sie erschrak, als sie den Störenfried erblickte. Eine zierliche Asiatin, Chinesin, wie sie annahm, stand zitternd und nackt vor ihrer Tür. Die junge Frau, eher noch ein Mädchen, schaute sie ängstlich, mit Tränen in den Augen an, während sie mit beiden Händen versuchte, ihre Blöße zu bedecken.
    »Wer bist du denn«, fragte Nina verwirrt. Sie hatte dieses Geschöpf hier noch nie gesehen. »Was willst du?« Mit weinerlicher Stimme sagte das Mädchen ein paar Wörter in einer Sprache, die in Ninas Ohren eindeutig chinesisch klang, und wiederholte sie rasch einige Male. Schließlich zeigte die Chinesin verschämt auf ihren Schoss und deutete an, dass sie offenbar die Toilette suchte. Nina lachte, doch erst jetzt sah sie das Blut. »Mein Gott, du blutest ja.« Sie holte ihren Bademantel, legte ihn dem Mädchen um die Schultern, schlang den Arm behutsam um ihre Hüfte und sagte: »Komm, ich bringe dich nach oben.« Sie musste das Mädchen mehrmals stützen, als sie die zwei Treppen zu ihrer Wohnung hinauf stiegen, so schwach war sie auf den dünnen Beinen. Sie führte das immer noch zitternde zerbrechliche Wesen ins Badezimmer und wartete in ihrer schmalen Stube.
    Auch wenn Nina kein Wort verstand, als sie sich mit der Kleinen zu unterhalten versuchte, begriff sie doch rasch, was los war. Es war nicht das erste Mal, dass die Bande sogenannter Beschützer, die eigentlich nur für Ruhe und Ordnung sorgen sollten, illegales Frischfleisch, wie sie es nannten, heranschafften, vorwiegend Frauen aus dem Osten Europas und neuerdings aus China. Auch die liberalsten Gesetzte zur Prostitution verhinderten nicht, dass zwielichtiges Gesindel wehrlose, illegal eingeschleppte Geschöpfe wie diese Kleine ausnutzten und satte Profite mit deren Unglück einstrichen. Und die bedauernswerten Frauen wurden immer jünger, auch dieses Mädchen war bestimmt noch nicht volljährig. Nina betrachtete die zerbrechliche Frau eingehend, als sie auf sie zutrat und sich artig und umständlich bedankte.
    »Lin«, sagte sie mit einem scheuen Lächeln und zeigte auf sich. Nina sah, dass Lin offenbar Schmerzen hatte, auch wenn sie die tapfer zu verbergen suchte.
    »Setz dich doch, Lin«, lud sie das Mädchen ein, doch es schüttelte nur den Kopf und blieb in unnatürlich breitbeiniger Haltung stehen. Langsam dämmerte Nina, was mit ihr los war. Sie stand auf und nahm die Kleine behutsam in die Arme. »Diese Schweine«, murmelte sie aufgewühlt. »Was haben die bloß mit dir gemacht. Du warst im Zimmer Sieben, nicht wahr?« Sie brauchte nicht zu verstehen, was Lin sagte. Sie wusste auch so genau, was geschehen war. Da steckte bestimmt der fette Hansje dahinter. Sem ›Hansje‹ De Jong und seine skrupellosen Kumpane, die von Mädchenhandel und Drogengeschäften lebten, führten sich immer noch auf wie eine Zuhälterbande aus der Zeit vor der Legalisierung der Prostitution. Als legale Hure hatte sie keine Angst vor diesen Kerlen, doch Mädchen wie Lin wurden behandelt wie rechtlose Sklavinnen.
    Wenn sie frisch waren, wurden sie von Hansje persönlich eingearbeitet. Die Männer sperrten die Neue tagelang in eine Rumpelkammer, die alle im Haus als ›Zimmer Sieben‹ kannten, und bedienten sich reihum und zu zweit oder zu dritt bei dem Mädchen, bis es alle Einzelheiten des Berufs kannte und nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Die Brutalität der Männer kannte keine Grenzen; je größer der Schmerz, die Angst und die Verzweiflung ihres Opfers, desto unbändiger ihr perverser Lustrausch. Einzig die Aussicht auf einträgliche zukünftige Geschäfte hinderte sie daran, diese Mädchen körperlich vollends zu ruinieren. Zureiten nannten sie diese Prozedur durchaus zutreffend, mit der sie die Opfer regelmäßig gefügig machten. Nina ärgerte sich grün und blau, dass man ihr Treiben nicht stoppen konnte, denn keines der Mädchen würde je wagen, vor Gericht gegen diese Bande auszusagen, und auf andere Art war ihnen nichts nachzuweisen. Sie schüttelte nachdenklich den Kopf und sagte mehr zu sich selbst: »Lin, Lin, was mach ich bloß mit dir.« Sie brauchte nicht lange zu überlegen, denn plötzlich polterten schwere Schritte durch das Treppenhaus und

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