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Zehn Milliarden (German Edition)

Zehn Milliarden (German Edition)

Titel: Zehn Milliarden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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»Wenn du so weitermachst, wirst du nie eine flachlegen.«
    »Schüchtern ja, bleich nein«, frotzelte sie.
    »Du wirst schon sehen, sie kann ganz schön - direkt sein.« Kurz nach dem Golfplatz im Kennedy Park tauchten die ersten Häuser Napas auf. Sie bogen links ab in die West Imola Avenue, überquerten den Napa River und schwenkten bald in die Locust Street ein, eine verschlafene Wohnstraße, in der sich die niedrigen Holzhäuschen hinter den alten Bäumen der Allee versteckten.
    »Welches ist es?« Nick schaute sich unsicher um.
    »Weiß nicht. Ich glaube, es ist eines der letzten auf der linken Seite. Fahr langsamer!«
    »Noch langsamer geht nicht«, murrte sie.
    »Da! Das muss sie sein«, rief Nick, als er den rostigen Pickup in einer Einfahrt sah. Sie parkte den Wagen am Straßenrand und betrachtete sich nochmals eingehend im Rückspiegel, bevor sie Nick zum Haus folgte. Er klingelte, doch nichts regte sich. Irgendwo plärrte ein Lautsprecher den alten Johnny Cash Hit ›Hey Good Lookin’‹. Er versuchte es nochmals, rief ihren Namen und klopfte kräftig an die Tür, worauf die sich einen Spalt breit öffnete. Ann hatte sie offenbar nur angelehnt. Er warf Julie einen fragenden Blick zu, doch sie zuckte nur mit den Achseln. Da sich noch immer nichts regte im Haus, stieß er die Tür ganz auf.
    »Sie wird draußen sein«, sagte er, als er die offene Gartentür im Wohnzimmer sah. Dort auf der Brüstung der Veranda stand auch das Radio, das den Ohrwurm in beachtlicher Lautstärke in die Gegend schmetterte. Julie verliebte sich augenblicklich in dieses behagliche Gärtchen mit seiner wilden Blumenwiese, eingerahmt von Beerensträuchern, Haselnussbüschen und einem hohen, Schatten spendenden Ahorn. In einer Ecke stand ein windschiefer, verwitterter Geräteschuppen. Von Ann war nichts zu sehen. Nick schaltete das Radio aus, worauf seine Cousine blitzschnell hinter dem Schuppen hervorschoss. Mit ihrem dunkelblauen Overall, dem Strohhut, der schon bessere Tage gekannt hatte, den gelben Gummistiefeln und der drohend gezückten Stechgabel stürzte die drahtige Gestalt auf sie zu wie eine wild gewordene Vogelscheuche. Instinktiv ging Julie hinter Nick in Deckung.
    »Willst du uns umbringen?«, lachte er. Sie stutzte und ließ die Gabel sinken.
    »Ach du bist’s. Hab dich nicht so früh erwartet.« Das war typisch für Ann. Sie konnte ihre Regungen meisterhaft hinter spitzen Bemerkungen verbergen; wohl mit ein Grund, warum ihr Mann sie vor Jahren verlassen hatte. Nur der Glanz ihrer Augen verriet ihre Freude. »Und das scheue Reh hier ist also deine neue Freundin«, brummte sie, während sie ihn kräftig herzte. Julie lächelte unsicher, als Ann sie umarmte und küsste wie eine verloren geglaubte Tochter. »Willkommen in Crawford Manor.« Sie deutete auf die Korbsessel auf der Veranda. »Setzt euch doch, ich hole was zu trinken«, und sie verschwand in die Küche. Julie blickte ihr verwirrt nach.
    »Du meine Güte. Die Frau kann einem ganz schön Angst einjagen«, murmelte sie. Nick grinste zufrieden.
    »Ich habe dich gewarnt. Aber sie ist ein großartiger Kerl, glaub mir.«
    »Das hast du schön gesagt.« Ann kehrte mit einer dicken Kanne Kaffee und einer Schale Konfekt zurück. Sie hatte sich offenbar in aller Eile umgezogen und wirkte nun entschieden häuslicher, harmloser. Sie wandte sich an Julie.
    »Also, ich bin Ann, und was Nick dir von mir erzählt hat, vergisst du lieber sofort wieder.«
    »Da muss ich nicht viel vergessen«, lachte Julie. »Er tat sehr geheimnisvoll.«
    »Typisch für ihn. Im Grunde ist er ganz in Ordnung, aber ich bin froh, dass jetzt endlich jemand auf ihn aufpasst.« Sie sprach von ihm als wäre nicht anwesend. Er stieg die zwei Stufen zum Garten hinunter und ließ die Frauen reden. Sollten sie sich ungestört kennen lernen. Erinnerungen an Besuche mit seinen Eltern wurden wach, denn es hatte sich nicht viel geändert seit damals. Selbst das Loch im Zaun hinter dem Himbeerstrauch existierte noch, der Geheimgang, durch den er und seine Schwester zu den Nachbarkindern gekrochen waren. Auch die rote Kolibritränke, die vom Dachvorsprung des Schuppens hing, war wohl immer noch dieselbe. Er fand die Frauen in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, als er wieder auf die Veranda stieg. Sie hatten einen Draht zueinander gefunden, stellte er erleichtert fest.
    »Kennst du jetzt die Wahrheit?«, fragte er Julie spöttisch.
    »Allerdings«, schmunzelte sie. »Warum hast du mir verschwiegen, dass dich

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