Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
eiginlega?«
Das letzte Wort war wohl isländisch. Sie ist zu aufgewühlt, um ihr Gehirn unter Kontrolle zu halten, und auch ich bin nicht gerade die Ruhe selbst.
»Was weißt du denn schon vom Krieg? Ihr hattet ja noch nicht mal EINEN auf dieser ... kalten stillen Insel. Du musstest noch nie draußen schlafen, in den Bergen, mitten im Winter, tagelang ohne Zelte oder richtiges Essen, und dann siehst du die Leiche deines Vaters, und sie sagen dir, dein Bruder ist umgebracht worden und da sind diese ... diese Leute, die sie vor dir aufstellen, und dann befehlen sie dir zu schießen. Und du schießt, weißt nicht, wie viele du triffst, und du willst auch gar nicht wissen, wie viele du getroffen hast, aber trotzdem willst du so viele treffen wie möglich, weil...«
Ich spüre, dass in mir zum ersten Mal seit Jahren Tränen fabriziert werden.
»Weil Krieg nun mal... scheiße ist und wir alle so tief drinstecken. Und keiner kann sagen, dies ist richtig und das ist falsch, weil entweder ALLES FALSCH IST oder ALLES RICHTIG. Und...«
Die Tränen haben das Werk verlassen. Eine Bestellung ist eingegangen. Sie werden geliefert. Aber der Vertriebsweg ist lang.
»Und du weißt es immer noch nicht ... Du weißt es einfach nicht. Fünfzehn beschissene Jahre später weißt du immer noch nicht, ob es falsch war oder richtig. Nur eins weißt du, es war ...«
Ich zögere, bevor meine Rede in einem einsamen, fast stummen letzten Wort ausstirbt:»... scheiße.«
Wir sitzen eine Weile da. Die helle Nacht fällt durch die Fenster und füllt auf spöttische Weise das Zimmer. Eigentlich sollte das eine dunkle Szene sein. Für den Fall, dass die Tränen gleich ankommen.
Sie sieht auf ihre Hände. Sie liegen auf ihren Knien. Sie hat lange Fingernägel. Durchgeknallt lange Fingernägel. Sie sind manikürt und lackiert. Helles Pink. Ich erinnere mich an die Hand aus dem Massengrab im TDO. Es war eine Mädchenhand, die eines Teenager-Mädchens, auch sie hatte solch lange Fingernägel. Als wir das Grab zumachen wollten, ragte ihre Hand immer wieder aus der Erde heraus. Wir versuchten, sie mit den Schaufeln niederzukloppen, sprangen auf sie drauf, doch ohne Erfolg. Sie stach immer wieder hervor, diese weiße, pummelige Mädchenhand mit den langen, grünen Fingernägeln. Wie lächerlich das aussah. Es passte überhaupt nicht her. Ein Massengrab war ein Ding aus der Vergangenheit, etwas, das einen an den Zweiten Weltkrieg denken lässt oder so. Leute in Massengräbern waren alte Frauen mit schmutzigen Kopftüchern und ärmlich aussehende Bauernkinder in zerschlissenen Klamotten und Holzpantoffeln. Aber hier war diese Hand und winkte uns aus dem Grab zu, das eher ein ganzer Friedhof war, und wirkte so scheißmodern. Es war so eindeutig eine Hand von heute. Man sah es vor sich, wie sie noch vor zwei Stunden die Play-Taste auf einem Walkman mit einer Michael-Jackson-Kassette gedrückt hatte.
Aus Respekt vor den Toten hatte ich angefangen, »You Are Not Alone« zu summen, den perfekten Psalm für jedes Massengrab. Doch ich konnte die Hand nicht zur Ruhe singen. Und nachdem ich zehn Mal versucht hatte, sie in die Erde zu bekommen, drehte ich einfach durch, zog mein Messer, schnitt sie unter ziemlichen Anstrengungen ab und schmiss sie fort. Das war eins meiner schlimmsten Kriegserlebnisse: wie ich mich mit dieser Hand abmühte und plötzlich dachte, ich würde unter meinen Füßen etwas hören. So etwas wie den von Erde gedämpften Schrei eines Mädchens.
»Schöne Fingernägel«, sage ich schließlich mit Blick auf ihre Hände.
Gunholder sieht mich an, als ob sie sie vergraben wollte. In meinem Gesicht.
14. DER FROSCH AUF DEM KALTEN WELLBLECHDACH
Die Balkanbestie hatte recht. Statt mir die kalte Schulter zu zeigen, bietet die Tochter des Predigers mir Unterschlupf. Auf dem Dachboden. Es ist ziemlich kalt, aber ihr Schlafsack ist warm, und außerdem ist es auf dem Dachboden ein wenig dunkler als im Rest dieses Landes. Es gibt nur zwei kleine Fenster: eins in meiner Ecke und ein rostiges Oberlicht in der Mitte des Daches. Hier oben schlafen zu müssen, ist nicht nur Strafe für meine Sünden. Ich muss hier oben schlafen, weil ihr Bruder Tröster zur Zeit bei ihr wohnt. Ich frage mich, wo der schläft. Im Vogelhäuschen draußen im Garten? Da wir uns entschlossen haben, ihn nicht einzuweihen, vermeide ich jegliches Geräusch, solange er zu Hause ist. Von Mitternacht bis zum Morgen spiele ich tote Maus. »Er arbeitet wie ein Wahnsinniger.
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